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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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denn sie hätte ja nicht herkommen müssen.
    Mit einem Mal tauchte das Haus von Mombert Flühi vor ihr auf. Marie begriff, dass sie unwillkürlich den Weg in die Hundsgasse eingeschlagen hatte, den sie als Kind regelmäßig gegangen war, um ihren Onkel zu besuchen und mit der kleinen Hedwig zu spielen. Sie fragte sich, wie es den beiden wohl gehen mochte, und überlegte einen Augenblick, ob sie nicht an die Tür klopfen und nach ihnen fragen sollte. Dann verlachte sie sich selbst. Wahrscheinlich würde eine Bedienstete oder die Frau ihres Onkels ihr öffnen, ihre Hurenbänder anstarren und sie schimpfend von der Schwelle weisen, ehe sie ein Wort über die Lippen gebracht hatte. Bei dieser Vorstellung kamen ihr wieder die Tränen, und sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie in Selbstmitleid zu zerfließen begann.
    Mit einem Ruck drehte sie sich um und lief in die nächste Gasse, die zum Rhein hinunterführte. Dabei achtete sie zu wenig auf die Leute, die ihr entgegenkamen, prallte gegen einen Mann und kam ins Stolpern. Sie wäre hingefallen, wenn er sie nicht aufgefangen und wieder auf die Beine gestellt hätte.
    Sie sah eine Pfälzer Uniform vor sich und erschrak. Mit den Männern der Konzilswachen war nicht gut Kirschen essen. »Verzeiht, Herr, es war keine Absicht«, rief sie und zog das Tuch, das ihr verrutscht war, wieder über den Kopf.
    Der Mann winkte freundlich lächelnd ab und wollte schon weitergehen. Doch dann hielt er sie am Arm fest, schob ihr Tuch zurück und musterte sie. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. »Marie? Bei allen Heiligen, ich habe geglaubt, du seiest tot!«
    Marie sah ihn an und schluckte. Sie erkannte ihn sofort, auch wenn er sich in den letzten fünf Jahren stark verändert hatte. »Michel? Oh mein Gott!«
    Am liebsten wäre sie im Erboden versunken, so schämte sie sich,ihrem Jugendfreund im Schandkleid einer Straßenhure gegenüberzustehen. Sie versuchte, sich seinem Griff zu entziehen und davonzulaufen, doch er packte sie nun mit beiden Armen, zog sie an sich und wirbelte sie lachend herum.
    »Marie, welch eine Freude, dich zu sehen. Ich habe solche Angst um dich ausgestanden. Mein Gott, was wird Mombert sich freuen. Komm, wir gehen gleich zu ihm.«
    Er stellte sie wieder auf die Füße und wollte sie mit sich ziehen. Sie aber stemmte sich gegen seinen Griff und schüttelte wild den Kopf. »Nein! Mein Onkel braucht nicht zu erfahren, dass ich noch lebe. Und du solltest mich auch sofort wieder vergessen. Die Marie, die ihr gekannt habt, ist tot.«
    Michel starrte sie verständnislos an. »Was soll das? Warum zierst du dich so?«
    »Sieh mich doch an!«, fauchte sie und hielt ihm eines der gelben Bänder unter die Nase. »Darum, verstehst du?«
    »Das dürfte deinen Oheim wenig stören. Er wird froh sein, dass du noch lebst, und wird dir gewiss helfen.«
    »Nein, danke. Ich brauche keine Hilfe, und ich lege keinen Wert darauf, dass man hier auf mich aufmerksam wird. Schließlich bin ich auf Lebenszeit aus Konstanz verbannt worden und durfte die Stadt nur betreten, weil ich als Hure für die besseren Herren geladen wurde.«
    Marie atmete tief durch und sah Michel herausfordernd an. »Glaubst du, es wäre angenehm für mich, wenn Leute, die mich von früher her kennen, mit Fingern auf mich zeigen und sagen, sie hätten schon immer gewusst, dass ich nichts als Abschaum bin?«
    Michel schüttelte nachsichtig den Kopf und strich ihr tröstend über die Wange. »Aber du bist doch nicht von selbst auf diesen Weg geraten.«
    »In den Gerichtsakten der Stadt Konstanz steht aber etwas anderes. Für die Leute hier bin ich eine Metze, die mit jedem Schuftins Bett gekrochen ist, sogar mit einem Mörder wie Utz.« Das Letzte hatte sie nicht sagen wollen, doch nun war es herausgerutscht.
    Michel kniff die Augen zusammen. »Utz, der Fuhrmann, soll ein Mörder sein?«
    Es klang ungläubig und ein wenig vorwurfsvoll. Er schien anzunehmen, dass sie dem Mann, der sie damals verleumdet hatte, möglichst viel Böses nachsagen wollte. Er packte sie, und als ein Passant Marie anstarrte, schob er sie gegen eine Hauswand und tat so, als tändele er mit ihr.
    »Hast du nicht ein Kämmerchen, wo wir es uns gemütlich machen können?«
    »Wo du mich besteigen kannst, meinst du wohl«, gab Marie bissig zurück. »Das schlag dir gleich aus dem Kopf.«
    Michel hielt sie ein Stück von sich weg und ließ seine Blicke über sie gleiten. »Das wäre keine schlechte Idee, glaube ich. Du bist wirklich das

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