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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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der Konstanzer Gesellschaft ebenso karikierte wie die Teilnehmer des Konzils. Es war, als sei er froh, eine aufmerksame Zuhörerin für seinen Spott gefunden zu haben, der wohl doch etwas zu scharf für den kaiserlichen Hof war, an dem ihm schon manch harmloserer Vers Ärger eingebracht hatte.
    Marie hörte ihm zu und ließ ihn mit ihrem Körper spielen, denn sie gedachte, die Beredsamkeit des Mannes auszunützen. Da Wolkenstein über alles und jeden Bescheid zu wissen schien,horchte sie ihn schamlos aus. So kannte sie bald die Namen vieler Konzilsteilnehmer und ihre politischen Einstellungen und erfuhr ganz nebenbei, dass Ritter Dietmar von Arnstein und seine Gemahlin Mechthild erwartet wurden, aber noch nicht eingetroffen waren.
    Es fehlten noch viele andere hochgestellte Leute, vor allem aus Spanien. Wolkenstein ereiferte sich, weil die Herren auf der Iberischen Halbinsel dem Konzil das Recht absprechen wollten, über den von ihnen unterstützten Papst Benedikt XIII. zu befinden. Wenn es Kaiser Sigismund nicht gelänge, die Spanier auf seine Seite zu ziehen, würde es zu einer Spaltung der Christenheit kommen, behauptete er. Marie interessierte sich nicht sonderlich für das Gelingen oder Misslingen der kaiserlichen Pläne, aber sie spielte so vortrefflich die aufmerksame Zuhörerin, dass Oswald von Wolkenstein einige Zeit lang jeden Tag bei ihr auftauchte.
    Erst bei seinem letzten Besuch begriff Marie, warum er sich jedes Mal über die Spanier ausgelassen hatte, denn er teilte ihr wehmütig mit, dass er Konstanz am nächsten Morgen verlassen müsse, da der Kaiser ihm die ehrenvolle Aufgabe übertragen habe, nach Aragon, Kastilien und Portugal zu reisen und den dortigen Herrschern Botschaften zu überbringen. Er beklagte den Abschied von Marie in bitteren Versen, sie aber freute sich über seine Abreise, denn auf Dauer war er ihr als Freier zu wenig ergiebig und als Verseschmied zu anstrengend. Sie ließ sich nichts anmerken, sondern verabschiedete sich von ihm wie eine zärtlich liebende Mätresse und atmete erst auf, als er das Haus verlassen hatte.
    Am nächsten Morgen beschloss Marie, das Viertel aufzusuchen, in dem ihr Elternhaus stand. Bisher hatte sie die Stadt mit Ausnahme des Marktplatzes gemieden, aus Angst, von ehemaligen Nachbarn erkannt zu werden. Auch auf dem Markt war sie schon Leuten begegnet, die sie von früher her kannte, doch bis auf die Männer, die an ihrem Körper interessiert waren, hatte ihrniemand einen zweiten Blick geschenkt. Es war, als legten die Hurenbänder eine Art Unsichtbarkeitszauber über sie. Trotzdem verbarg sie ihre Haare unter einem Tuch, bevor sie die Gasse betrat, die vom Ziegelgraben zum Münster führte.
    Trotz der frühen Morgenstunde trieben sich scharenweise Söldner und andere Müßiggänger in der Stadt herum. Einige riefen Marie obszöne Worte nach, doch noch nicht einmal die Betrunkenen traten ihr zu nahe. Die gelben Bänder verliehen ihr einen Schutz, über den ehrbare Frauen und Mädchen nicht verfügten. Ein Mann, der eine Hure belästigte und dabei handgreiflich wurde, fand die Türen und Zelte aller anderen Huren verschlossen und wurde bei jeder Annäherung mit lautem Schimpf empfangen. Auch wenn die Hübschlerinnen aus verschiedenen Ländern stammten und oft erbitterte Konkurrentinnen waren, hielten sie hier in Konstanz zusammen.
    Als Marie durch die Gasse ging, in der sie einst gewohnt hatte, wäre sie beinahe an ihrem Elternhaus vorbeigelaufen, denn Ruppert hatte es umbauen und mit einer protzigen Fassade versehen lassen. Dort, wo sich früher der von Schuppen und Remisen umgebene Hof befunden hatte, stand jetzt ein mehrstöckiges Gebäude, das noch etwas unfertig wirkte. Dennoch gingen Dienstboten ein und aus, und vor dem Tor standen bewaffnete Wächter. Das musste das Gebäude sein, in dem Ruppert, wie sie von dem Wolkensteiner erfahren hatte, neben seinem Bruder Konrad von Keilburg noch einige andere hohe Würdenträger samt ihrem Gefolge untergebracht hatte.
    Einer dieser Herren lehnte sich gerade aus dem Fenster und schrie einem Bediensteten etwas zu. Um nicht aufzufallen, ging Marie rasch weiter. Sie kämpfte mit den Tränen, so hatte sie der Anblick des Hauses schockiert. Bisher hatte sie zumindest in ihrer Erinnerung eine Heimat besessen, einen Ort, an den sie in Tagträumen hatte zurückkehren können und an dem sie gegen jede Vernunft gehangen hatte. Jetzt war ihr auch das genommenworden. Sie straffte die Schultern und verspottete sich selbst,

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