Die Wanderhure
gerade billige Überfahrt gekommen war, dann aber bemerkte er, dass Selmo sich entfernte,und folgte ihm, ohne einen weiteren Gedanken an Melcher zu verschwenden.
Als der Knecht am Ziegelturm vorbeiging und ihn dabei in Augenschein nahm, war Wilmar sich sicher, dass das Schurkenstück, dessen Opfer Hedwig geworden war, am gleichen Tag weitergehen sollte. In einer Stadt wie Konstanz blieb wenig geheim, auch nicht die Tatsache, dass sich Hugo von Waldkron ein etwas abseits gelegenes Haus in Maurach gemietet hatte, und so zog Wilmar den richtigen Schluss.
Verzweifelt überlegte er, was er tun konnte, um Hedwig vor den Klauen des berüchtigten Abtes zu schützen. Hätte er die Kräfte des sagenhaften Herkules besessen, würde er auf der Stelle die Mauern des Turms aufgerissen und sie davongetragen haben. Doch er war nur ein armer Geselle ohne Kraft, Macht oder Einfluss, der seinen Meister verloren hatte und nach dem Mord von Glück sagen konnte, wenn ihn ein anderer Böttcher aufnahm. Sein eigenes Unglück überwältigte ihn nun nicht weniger als das Elend, in das Hedwig gestürzt worden war, und er stolperte tränenblind weiter.
Als das Schottentor vor ihm auftauchte, lief er in eine Gruppe Pfälzer Fußsoldaten hinein. Einer der Männer packte ihn, stellte ihn wie ein Bündel Lumpen zur Seite und sagte etwas Unfreundliches, aber er schlug ihn nicht nieder, wie andere Söldner es wahrscheinlich getan hätten. Für einen Augenblick blieb Wilmar schwer atmend stehen. Die Begegnung hatte ihn wieder in die Gegenwart gerissen, weg von der Frage, ob er seinem elenden Dasein sofort ein Ende bereiten oder vorher noch den Abt umbringen sollte. Er starrte den Soldaten nach und musste an den schneidigen Hauptmann denken, der bei seinem Meister zu Gast gewesen war. Vielleicht konnte der Mann Hedwig helfen. Doch wenn Michel Adler Hedwig rettete, würden ihr Herz und ihre Dankbarkeit ihm gehören.
Wilmar focht einen kurzen Kampf mit sich selbst aus und senktezuletzt beschämt den Kopf, weil er seine Eifersucht beinahe über das Wohl des Mädchens gestellt hatte, das er liebte. Wenn er weiterleben und den Kopf wieder hoch tragen wollte, musste er alles tun, um Hedwig zu helfen, selbst wenn er dann mit einem geheuchelten Lächeln auf den Lippen und einem gebrochenen Herzen zusehen musste, wie sie mit einem anderen Mann glücklich wurde. Kurz entschlossen rannte er den Pfälzern nach und hielt einen der Männer auf.
»Bitte, Herr, könnt Ihr mir sagen, wo ich Euren Hauptmann finde, den Michel?«
»Entweder bei der schönen Hure am Ziegelgraben oder beim Adlerschenk in der Katzgasse.« Der Mann langte sich an den Helm, als wolle er sich am Kopf kratzen, und dachte kurz nach. »Ich glaube, er ist Richtung Schenke gegangen.«
»Ich danke Euch, Herr.« Wilmar deutete eine Verbeugung an und rannte, so schnell er konnte, zur Katzgasse, ohne auf das Schimpfen einiger älterer Bürger zu hören, die sich über seine Rücksichtslosigkeit aufregten.
Es ging auf Mittag zu, und die Schenke war so voll, dass einige Leute ihre Suppe und ihr Brot vor der Tür im Stehen aßen und den Becher mit Wein zwischen ihren Füßen auf der Erde abgestellt hatten. Wilmar drängte sich suchend durch die Gäste, die dicht an dicht in der Wirtsstube hockten, und fand zu seiner Erleichterung den Hauptmann in einer Nische im hintersten Winkel. Michels Gesicht lud nicht gerade dazu ein, ihn anzusprechen. So trat Wilmar ein paar Augenblicke von einem Fuß auf den anderen und räusperte sich vernehmlich. Da der Mann nicht von seinem leeren Krug aufsehen wollte, holte er noch einmal tief Luft und tippte ihn auf die Schulter.
Michel hatte Wilmar bis dahin nicht bemerkt, denn in Gedanken war er bei Marie. Er hatte sie wiederholt aufgesucht, um mit ihr zu reden. Doch sie war kein einziges Mal auf ihn eingegangen, sondern stumm geblieben wie ein Fisch und im Bett so leidenschaftlichwie ein abgesägter Ast. Michel wusste nicht, über wen er sich mehr ärgerte, über das dickköpfige Frauenzimmer oder über sich selbst, weil er so närrisch war, zu ihr zu gehen und gutes Geld für ein paar enttäuschende Minuten zum Fenster hinauszuwerfen. Als ihn jemand an der Schulter berührte, fuhr er zornig auf und griff unwillkürlich an seinen Schwertgriff.
»Was willst du, Bursche?«
Das klang wie: Verschwinde, Kerl, und lass mich in Ruhe!, dachte Wilmar und wich erschrocken zurück. Doch dann straffte er die Schultern. Es war ihm in diesem Moment egal, ob der Mann ihn hier
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