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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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von jemand begangen, der den Steinzeller loswerden wollte und dabei Melcher als Helfer benutzte. Doch wer könnte ein Interesse an dem Tod eines fast unbekannten Junkers haben?«
    Wilmar rutschte ganz aufgeregt auf dem Schemel herum. Der Hauptmann hatte angebissen, und jetzt konnte er endlich seinen Verdacht loswerden. »Der Abt von Waldkron! Der war doch hinter Hedwig her wie der Teufel hinter einer armen Seele und hat in Junker Philipp einen Nebenbuhler gesehen. Jetzt hat er ihn auf eine Weise beseitigt, dass Meister Mombert für denMörder gehalten wurde, und damit auch den Vater aus dem Weg geräumt, der seine Tochter vor ihm beschützte. Dann hat er Hedwig in den Ziegelturm schaffen lassen, wo ihre Base Marie so viel Schlimmes hat erdulden müssen. Ich fürchte, Hedwig wird nun ein ähnliches Schicksal erleiden, denn ich habe beobachtet …«
    Michel wollte schon abwinken, doch als der Name Marie fiel, unterbrach er den Burschen heftig. »Was ist mit Marie im Ziegelturm geschehen?«
    Wilmar sah ihn verwundert an. »Hat Meister Mombert Euch die Geschichte nicht erzählt? Er war Zeuge bei dem Prozess gegen seine Nichte und hat erfahren, dass Marie drei Männer beschuldigt hat, sie in der Nacht nach ihrer Verhaftung im Ziegelturm vergewaltigt und ihr die Jungfernschaft geraubt zu haben. Der Richter hat ihr jedoch nicht geglaubt und sie wegen Verleumdung zu zusätzlichen Rutenhieben verurteilt.«
    Michel fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. »Marie wurde vergewaltigt? Das habe ich nicht gewusst. Ich bin ihr damals gefolgt, wusste jedoch nur von der Auspeitschung. Warte, lass mich nachdenken.«
    Kein Wunder, dachte er beschämt, dass Marie nach solchen Erfahrungen kein Vergnügen daran findet, mit mir zu schlafen. Und ich Idiot habe auch noch geglaubt, ihr Gutes zu tun …
    »Wer waren die Männer?«, fragte er Wilmar mit einer Stimme, die den Gesellen zusammenzucken ließ.
    »Hunold, der Stadtbüttel, der Fuhrmann Utz und Linhard Merk, der damalige Schreiber ihres Vaters, der jetzt als Bruder Josephus im Barfüßerkloster lebt«, zählte Wilmar auf.
    »Hunold ist ein Schwein, dem es Freude macht, Frauen zu quälen, und Utz eine Ratte, die hinter jedermann herschnüffelt und seine Geheimnisse gegen einen Judaslohn verrät. Von Matthis Schärers Schreiber weiß ich nichts, aber er war gewiss genauso ein widerwärtiger Kerl wie die beiden anderen. Mein Gott, wiemuss Marie gelitten haben!« Michel sprang auf, lief in der Kammer hin und her und machte wütende Gesten, als wolle er die Schurken auf der Stelle zur Rechenschaft ziehen.
    Wilmar zupfte ihn am Ärmel. »Es geht aber nicht um Marie, Hauptmann, sondern um Hedwig. Wenn wir nichts tun, wird sie ebenfalls ein Opfer solch gemeiner Schufte. Was ich von dem Waldkroner gehört habe, lässt mich das Schlimmste befürchten. Er ist vorhin über den See in Richtung Meersburg gefahren und wird von dort aus sicher nach Maurach reiten, wo er ein Haus gemietet hat. Bevor er an Bord ging, hat er seinem Knecht eine Pergamentrolle in die Hand gedrückt. Ich bin überzeugt, dass Selmo Hedwig aus dem Turm holen und zu ihm schaffen soll. Wenn wir sie nicht vorher befreien, wird der Abt Hedwig Gewalt antun und nach allem, was ich von ihm habe sagen hören, sie dabei misshandeln und quälen.«
    Michel lachte bitter auf. »Wie stellst du dir das vor? Ich habe nicht die Macht, Hedwigs Freilassung zu veranlassen.«
    Wilmar schlug die Hände vor das Gesicht. »Dann wird Hedwig das Schicksal ihrer Base teilen. Wenn sie die Behandlung durch den Waldkroner überlebt, heißt das. Sie ist doch so zart und zerbrechlich …«
    Michel packte ihn bei der Schulter und zog ihn zu sich hoch. »Jetzt wirf den Spieß nicht gleich ins Korn und hör auf zu jammern. Bevor so ein Kerl wie Abt Hugo das Mädchen in die Finger bekommt, fahre ich mit blanker Klinge dazwischen, das schwöre ich dir.«
    Für einen Augenblick überlegte Michel, zu Marie zu gehen und ihr von der Sache zu erzählen. Vielleicht würde es sie geneigter stimmen, wenn sie erfuhr, dass er ihrer Verwandten beistehen wollte. Wahrscheinlicher war, dass sie ihn für einen Maulhelden hielt und ihm die Tür vor der Nase zuschlug. Nein, zuerst musste er Hedwig befreien. Mit einer solchen Tat konnte er Maries Dankbarkeit einfordern und ihr endlich näher kommen. Erforderte Wilmar auf, ihm noch einmal in allen Einzelheiten zu schildern, was er in Meister Momberts Haus und später am Hafen beobachtet hatte.

XIV.
    D ie Abenddämmerung legte

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