Die Wanderhure
vorbei aus der Kammer und stieg hinab.
Michel fasste Marie beim Arm. »Kannst du dich auf die beiden anderen Frauen verlassen? Es darf niemand wissen, wer Hedwig befreit hat und wo sie versteckt ist.«
Marie schüttelte seinen Griff ab, als hätte er sie verbrannt, blickte ihn aber freundlich an. »Hiltrud hat mir das Leben gerettet undist mir eine treue Freundin geworden, und Kordula wird uns ebenfalls nicht verraten, besonders nicht an Männer, die unschuldige Bürgermädchen bedrängen und uns Huren damit um den Verdienst bringen.«
»Dann ist es gut.« Michel steckte den Kopf zur Tür hinaus und sah Wilmar neben Hiltrud im Flur stehen, die ihn im Licht eines Kienspans musterte. Der Geselle starrte Hiltrud, die ihn um gut eine Handspanne überragte, so ängstlich an, als fürchte er, sie wolle ihn lebendig verspeisen.
Michel winkte die beiden nach oben. »Bringt die dritte Frau ebenfalls mit. Wir müssen beraten, wie es weitergehen soll, aber wir dürfen nicht riskieren, dass ein zufällig vorbeikommender Passant das Ohr an die Fensterläden legt und unser Gespräch mitbekommt.«
Wilmar schoss die Treppe hoch, als fliehe er vor einem wild gewordenen Stier. Hiltrud und Kordula folgten ihm lächelnd. Sie amüsierten sich über den Jungen, der sich in den hintersten Winkel verkroch, die Beine fest an den Leib zog und die Arme um sie schlang, um die Frauen neben ihm nicht zu berühren. Aber auch die anderen mussten sich ihre Plätze auf Knien und Händen suchen und beim Sitzen die Köpfe einziehen. Marie schob Hedwig kurzerhand gegen die Wand, setzte sich auf ihr Bett und blickte von dort aus auf die anderen herab. Michel nutzte die Gelegenheit, um sich an ihre Beine zu lehnen.
Als ihn alle erwartungsvoll ansahen, berichtete Michel noch einmal, was geschehen war und mit welcher Absicht er Hedwig zu Marie gebracht hatte. »Was Wilmar und ich getan haben«, schloss er, »dürfte den Behörden hier in Konstanz nicht gefallen. Bitte schweigt deswegen gegenüber jedermann und verbergt das Mädchen vor fremden Blicken.«
Kordula schnalzte mit der Zunge und schüttelte heftig den Kopf. »Das geht nicht. Wenn Marie das Mädchen hier versteckt, kann sie nicht mehr arbeiten.«
Marie hob beschwichtigend die Hände. »Doch, doch, das wird sich machen lassen. Wenn Hedwig wieder auf den Beinen ist, muss sie sich eben so lange auf dem Dachboden verstecken, wie ich meine Freier hier empfange.«
Sie deutete auf die Bretter, die die Decke ihres Zimmers bildeten. Wenn man zwei von ihnen wegnahm, konnte man über Maries Truhe in einen Verschlag unter den Giebel klettern. Dort oben war kaum mehr Platz als in einem Sarg, und die Konstruktion wirkte nicht gerade stabil, doch für ein schlankes Mädchen wie Hedwig mochte das Versteck reichen.
Wilmar protestierte vehement. »Nein! Nein, das geht nicht. Da oben bekommt Hedwig doch alles mit, was hier geschieht, und wird die Unschuld ihrer Seele verlieren. Sie ist doch eine fromme Jungfrau.«
Marie maß ihn mit einem Blick, der ihn erstarren ließ. »Wäre es dir lieber, wenn sie ihre Unschuld durch Gewalt und unter den widerlichsten Umständen verliert?«
Michel legte Marie die Hand auf ihr Knie und lächelte begütigend. »Du musst Wilmar verstehen. Er liebt Hedwig und möchte sie beschützen. Mir gefällt es ja auch nicht, dass du weiterhin Freier empfängst.«
»Marie muss weitermachen, sonst beginnen die Leute zu reden«, antwortete Hiltrud schnell, denn sie sah Marie an, dass sie mit verletzenden Worten über ihren treuen Verehrer herfallen wollte. »Man würde sich fragen, aus welchem Grund sie niemanden mehr in ihre Kammer nimmt.«
Marie holte tief Luft und schluckte sichtbar an bösen Worten. »Hiltrud hat Recht. Wir müssen so weitermachen wie bisher.«
Ehe Michel etwas einwenden konnte, fragte sie Wilmar aus. Sie wollte jede Einzelheit der Geschehnisse vor und nach dem Mord wissen. Der Geselle lebte ein wenig auf, während er ausführlich über die Ereignisse der letzten Wochen berichtete. Als er das Auffinden des Toten schilderte, kniff Marie die Lippen zusammen.Sie gönnte Philipp von Steinzell dieses unrühmliche Ende, allerdings wäre es ihr lieber gewesen, wenn der Sensenmann den Junker an einem anderen Ort geholt hätte.
Als Wilmar endete, schüttelte Marie den Kopf. »Warum bist du so überzeugt, dass der Abt des Klosters Waldkron diese Intrige eingefädelt hat?«
»Weil er Hedwig so in seine Gewalt bringen konnte.«
»Da hätte er ihr auch auf dem Weg zur
Weitere Kostenlose Bücher