Die Wanderhure
Morgenmesse auflauern lassen können«, wandte Marie ein. »Warum sollte er zu einer Entführung auch noch einen Mord auf sein Gewissen laden? Oder hast du irgendeinen Anlass zu glauben, dass der Abt und der Junker aus anderen Gründen Todfeinde waren?«
Wilmar verneinte hilflos.
Marie stützte den Kopf auf die Hände und ließ zu, dass Michel gedankenverloren mit ihren Zöpfen spielte und sie erwartungsvoll ansah. Aber sie war nach der letzten Abfuhr nicht bereit, über das zu sprechen, was sie vermutete. Durch ihren Aufenthalt auf Burg Arnstein wusste sie über die Situation in der Heimat des ermordeten Junkers Bescheid. Konrad von Keilburg hatte seine Absicht, sich die Burgen und Ländereien dort unter den Nagel zu reißen, gewiss nicht aufgegeben.
Der Tod des Junkers brachte den Keilburger einen Schritt näher an den Steinzeller Besitz heran, und Momberts Verhaftung nützte nicht nur Abt Hugo, der Hedwig in seine Gewalt hatte bringen wollen, sondern auch Ruppert, der sich so einen hartnäckigen Prozessgegner aus dem Weg schaffen konnte, sei es aus Rache oder weil Mombert etwas wusste, das Ruppert zur Unzeit gefährlich werden konnte. Marie war bekannt, dass Konrad von Keilburg und der Waldkroner Gäste ihres ehemaligen Verlobten waren. Für Ruppert war es ein Leichtes, einen Mörder auszuschicken, und Marie war fest davon überzeugt, den Täter zu kennen. Vielleicht, dachte sie, hat Utzjetzt einen Mord zu viel begangen.
Sie lächelte Wilmar, der wieder in sich zusammengekrochen war,aufmunternd zu. »Du bist der Überzeugung, dieser Melcher habe U…, eh, den Mörder ins Haus gelassen?«
»Ja! Ganz bestimmt. Nur er kann ihm das Messer des Meisters gegeben haben, denn woher sollte ein Fremder wissen, wo es zu finden war?«
»Dann müssen wir Melcher in die Hände bekommen, bevor man ihn als unerwünschten Zeugen zur Hölle schickt.« Sie legte die Hand auf Michels Schulter und sah ihn bittend an.
Der Hauptmann gab ihren Blick recht unglücklich zurück. »Ich habe meine Befehle und kann Konstanz nicht verlassen.«
»Aber ich könnte ihn suchen«, rief Wilmar aus. »Wenn ich morgen den ersten Prahm nehme, der nach Lindau fährt, hat Melcher nur einen Tag Vorsprung. Das müsste ich aufholen können. Nur …«, er brach kurz ab und sah die anderen betreten an. »Nur habe ich nicht das Geld dafür.«
»Das ist das geringste Problem.« Michel schnürte seine Börse vom Gürtel und warf sie Wilmar zu. »Das müsste reichen. Der Bursche wird ja wohl kaum bis Böhmen oder Ungarn fliehen.«
»Ich kann auch ein paar Münzen beisteuern«, bot Marie an.
Michel streichelte ihr Knie. »Das ist lieb von dir. Ich werde Wilmar zwei meiner vertrauenswürdigsten Männer mitschicken, die ihm helfen sollen, Melcher einzufangen. Freiwillig wird er ja wohl kaum mit zurückkommen.«
Marie starrte Michel düster an. »Das ist mir noch zu wenig. Wir brauchen hochrangige Verbündete gegen unsere Feinde. Wenn wenigstens der Arnsteiner in Konstanz wäre.«
Michel hob den Kopf. »Meinst du Ritter Dietmar von Arnstein? Der ist vorgestern eingetroffen.«
Marie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Weißt du, wo er Quartier genommen hat?«
»Freilich. Der Ritter ist doch das Hauptgesprächsthema meiner Leute. Die amüsieren sich darüber, dass er seine Gemahlin mitgebracht hat. Ihrer Meinung nach gibt es so viele Hübschlerinnenin Konstanz, dass ein Mann drei Jahre lang jeden Tag eine andere nehmen kann und dann immer noch nicht alle besessen hat.«
Marie schüttelte unwillig den Kopf, so dass ihre Zöpfe Michel um die Ohren flogen. »Dummes Geschwätz! Dietmar von Arnstein weiß, was er an seiner Frau hat, und ich bin froh, dass Frau Mechthild mitgekommen ist. Das erleichtert die Sache.«
Die Herrin auf Arnstein würde sich von Ruppert gewiss nicht so an der Nase herumführen lassen wie ihr Gemahl, dachte Marie zufrieden und nahm sich vor, die Dame gleich am nächsten Morgen aufzusuchen.
XVI.
W äre es nach Marie gegangen, hätte sie das Haus mit dem Fisch, in dem der Graf von Württemberg neben anderen Vasallen und Verbündeten auch die Arnsteiner untergebracht hatte, bereits kurz nach Sonnenaufgang aufgesucht. Hiltrud aber hielt sie zurück, denn sie musste dabei sein, wenn Hedwig aufwachte. Sonst bestand die Gefahr, dass das Mädchen die Situation missverstand und vor Angst die halbe Gasse zusammenschrie.
Marie hatte sich überzeugen lassen und hockte nun mit untergeschlagenen Beinen neben Hedwig auf dem Bett und
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