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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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knebele die Angeklagte. Sie ist es nicht wert, ihre Stimme noch einmal erheben zu dürfen.«
    Marie schrie wütend auf. »Heilige Maria, Mutter Gottes! Was ist das für ein Gericht, das die Schuldigen verschont und die Unschuldigen verurteilt?«
    In dem Moment traten zwei Gerichtsdiener neben sie. Einer zwang sie mit schmerzhaftem Griff, den Mund zu öffnen. Der andere schob ihr einen Holzstab zwischen die Zähne und hielt ihn fest, bis sein Kollege die beiden Bänder, die an den Enden des Stabes befestigt waren, um ihren Nacken geschlungen und verknotet hatte. Marie versuchte trotz des Knebels, weiterhin ihre Unschuld zu beteuern, brachte jedoch nur noch ein Lallen heraus.
    Der Richter nickte den Gerichtsdienern dankbar zu und wandte sich dann an Linhard und den Fuhrmann. »Ihr beiden habt behauptet, mit Marie, der Tochter des Matthis Schärer Unzucht getrieben zu haben. Seid ihr bereit, auf das Kreuz zu schwören, dass eure Aussage der Wahrheit entspricht?«
    Utz stand auf, ging zum Richtertisch und legte die Hand auf das Kreuz, das der Richter ihm hinhielt. »Ich bin bereit. Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, dass ich Marie Schärerin bestiegen habe.«
    Linhard schwitzte, als er den fragenden Blick des Richters auf sich gerichtet sah. Er trat mit eingezogenem Kopf vor den Tisch, als erwarte er, jeden Moment einen Blitz auf sich herabfahren zu sehen, und umklammerte das Kreuz mit zitternden Händen. Dann sprach er die Worte, die Marie verdammten. »Ich schwöre es bei allen Heiligen.«
    Pater Honorius nickte zufrieden. »Damit ist die Angeklagte der Hurerei überführt und wird die Schwere des Gesetzes zu spüren bekommen. Jetzt müssen wir nur noch über das Strafmaß entscheiden. Magister Ruppert, da die gottlosen Handlungen der Angeklagten Eure Ehre besudelt haben, steht es Euch zu, eine angemessene Bestrafung zu fordern.«
    Der Magister nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. »Ich danke Euch, ehrwürdiger Pater. Nach den Gesetzen der heiligen Kirche und des Reiches sollte folgende Strafe verhängt werden: Wenn die Schuld einer fehlenden Jungfrau erwiesen ist und sie vor Gericht diese Schuld bekennt und bereut, so soll sie in ein Kloster gegeben werden, damit sie dort für die Vergebung ihrer Sünden beten kann.«
    Er machte eine Pause und blickte erwartungsvoll in die Runde, aus der ihm wortlose Zustimmung entgegenschlug. Dann sah er Marie auffordernd an. »Bist du nun endlich bereit, deine Sünden einzugestehen? Überlege gut. Es ist der einzige Weg für dich, für deine Verfehlungen zu büßen und deine Seele vor der ewigen Verdammnis zu retten.«
    Marie schwankte. Wenn ein anderer sie gefragte hätte, wäre ihre Antwort »Ja« gewesen, denn sie wünschte nur noch, sich irgendwo verkriechen zu können. In ihrem Unterleib wüteten kaum noch erträgliche Schmerzen, und vor ihren Augen tanztenrote Flecken wie die Flammen der Hölle. Hinter Klostermauern würde sie die Grausamkeit der Welt vergessen können. Doch ihr war bewusst, dass man sie nur dann begnadigen würde, wenn sie einen Meineid schwor. Damit aber würde sie wirklich eine Todsünde begehen und gleichzeitig die drei Männer, die sie vergewaltigt hatten, und die Witwe Euphemia, deren gottlose Verleumdung ihr Schicksal besiegelt hatte, von aller Schuld freisprechen. So schüttelte sie heftig den Kopf und stieß einen Laut aus, der als »Nein« verstanden werden konnte.
    Für einen Augenblick wirkte Magister Ruppertus ebenso erleichtert wie erfreut, so als hätte er ihren Widerspruch erwartet. Dem Richter aber zeigte er eine grimmige Miene.
    »Zeigt das Mädchen sich jedoch verstockt«, fuhr der Magister fort, »und weigert sich, ihre Schuld zu bekennen, so soll sie mit Ruten gestrichen und aus ihrer Heimat verbannt werden!«
    Der Richter zeigte keinerlei Gefühlsregung. »So steht es geschrieben. Marie Schärerin, bist du bereit, deine Schuld vor Gott und den Menschen zu bekennen?«
    Marie schüttelte erneut den Kopf. Ihr Vater stand schwer atmend auf und wankte zu ihr. Als er vor ihr stand, sah sie, dass ihm ein Auge nicht mehr gehorchte. Sein Atem roch immer noch nach Alkohol, und das tötete jedes Mitleid in ihr.
    »Kind, du weißt nicht, was du tust. Bekenne dich schuldig, und ich werde dich zu den dienenden Schwestern des Dritten Ordens des heiligen Franziskus zu Konstanz geben.« Seine Stimme klang weinerlich. Marie drehte den Kopf und sah in eine andere Richtung.
    »Wenn das Mädchen seine Schuld zugibt, wird dir dies gestattet

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