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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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werden«, erklärte einer der Beisitzer salbungsvoll.
    Marie vernahm das leise, undeutlich gemurmelte »Bitte!« ihres Vaters und sah den flehenden Blick ihres Onkels Mombert auf sich gerichtet. Selbst der Richter nickte ihr aufmunternd zu. Es war, als hätte sich die ganze Welt gegen sie verschworen. Aberwenn sie den Schleier nahm, würde sie bis an das Ende ihrer Tage die Verachtung der adligen Nonnen zu spüren bekommen, die die Geschicke der dienenden Schwestern leiteten, und für Sünden bestraft werden, die sie nie begangen hatte. Noch schlimmer, mit ihrer Zustimmung würde sie eine Todsünde begehen, für die sie noch nicht einmal büßen durfte, denn sie würde im Angesicht des Kreuzes einen Meineid schwören und sich damit auf alle Ewigkeit selbst verdammen. Nein, dazu war sie nicht bereit.
    Sie sah den Richter an und schüttelte wild den Kopf. Honorius von Rottlingen wirkte sichtlich verärgert. Seine Hand fiel schwer auf den Tisch, und er befahl seinem Schreiber, die Feder in die Hand zu nehmen. »Da diese Metze verstockt ist und ihre Schuld leugnet, soll sie die höchstmögliche Strafe treffen.«
    Er beriet sich kurz mit seinen Beisitzern, erhob sich dann und blickte auf Marie herab.
    »Marie Schärerin, du wirst wegen Hurerei und des Versuchs, den angesehenen Magister Ruppertus Splendidus zu betrügen und dich ihm als ehrbare Jungfrau anzuvermählen, sowie der Verleumdung achtbarer Bürger und Matronen zu dreißig Rutenstreichen und ewiger Verbannung aus der Stadt Konstanz und ihrem Umland verurteilt.« Der Richter wollte sich schon erheben und damit die Sitzung schließen, doch Magister Ruppertus bat noch einmal um das Wort.
    »Verzeiht, ehrwürdiger Vater, wenn ich eine Bitte vorbringe. Ich halte es nicht für gut, wenn Ihr diese Hure durch eines der südlichen Tore aus der Stadt bringen lasst, wie es das städtische Gericht meist anordnet. Das aufständische Gesindel dort, das sich Eidgenossen nennt, würde ihr gewiss helfen, schon um unserer hochwürdigen Eminenz, Bischof Otto, einen Tort anzutun. Lasst sie über den Rhein bringen und ein paar Tage lang nach Westen treiben, damit die Umgebung der Stadt von ihr befreit wird.«
    Während Pater Honorius zustimmend nickte, sprach Ruppertus weiter. »Außerdem sollte keiner Eurer Gerichtsknechte die Hureauspeitschen. Sie ist schön wie die Sünde, und meiner Erfahrung nach fallen die Hiebe der meisten Männer bei einer solchen Frau schwächer aus, als es angemessen ist. Ich schlage vor, dass der Büttel Hunold die Strafe ausführt. Er wird die Sünderin gewiss nicht schonen.«
    »Nicht nachdem sie ihn eines schändlichen Verbrechens bezichtigt hat.« Der Richter hob die Hand, um noch einmal die Aufmerksamkeit der Anwesenden zu fordern. »Das Urteil wird heute noch vollstreckt. Bringt die Metze zur Marktstätte, wo der Büttel Hunold die Bestrafung übernehmen wird. Danach soll sie von zwei Dienern dieses Gerichts aus Konstanz hinausgeschafft werden.«
    Marie sah, wie Hunolds Gesicht aufleuchtete, und fühlte, wie sie auch noch ihre letzten Kräfte verließen. Der Büttel kam mit einem zufriedenen Grinsen auf sie zu, packte den Strick, an dem er sie schon zweimal durch die Gassen gezerrt hatte, und riss so grob daran, dass sie zu Boden stürzte.
    »So ist es recht«, höhnte er. »Aber es hilft dir auch nichts, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anflehst, dich zu schonen. Das hättest du dir früher überlegen müssen.«

VII.
    A n dem Tag, an dem Marie vor Gericht stand, wurde in Konstanz Wochenmarkt abgehalten. Die Bauern aus der Umgebung waren früh am Morgen in die Stadt gekommen und boten Gemüse, Geflügel, Lämmer und Ferkel an. Am späten Vormittag, als der Großteil ihrer Waren verkauft war, begannen sie ihre Stände abzubauen und gaben das eine oder andere Stück billiger weg, um es nicht wieder mitnehmen zu müssen. Mit einem Mal stockte die hektische Betriebsamkeit. Selbst die Städterinnen, die eben noch nervös von Stand zu Stand gelaufen waren, als zerrinneihnen die Zeit unter den Händen, umklammerten ihre voll gepackten Einkaufskörbe und starrten mit offenen Mündern zum Kornhaus.
    Dort waren drei Gerichtsdiener mit umwickelten Stäben, den Zeichen ihres Amtes, erschienen und wiesen einige Bauern an, ihre Wagen beiseite zu schaffen, da sie den Zugang zum Schandpfahl versperrten. Die Marktbesucher drängten näher und fragten einander verwundert, was dort stattfinden sollte, aber niemand wusste darauf zu antworten. Normalerweise

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