Die Wanderhure
bringen würde. Zuerst musste sie begreifen lernen, dass das Ziel, für das sie um ihr Überleben gekämpfthatte, tatsächlich erreicht war. Fünf Jahre lang hatte sie Rupperts Tod mit jeder Faser ihres Herzen herbeigesehnt, und jetzt, wo ihre Schmach gerächt war, fühlte sie sich leer und ausgebrannt.
Als die Strömung die Barke erfasste und die Mauern von Konstanz immer schneller hinter ihr zurückblieben, seufzte sie tief auf. Sie bedauerte den überstürzten Abschied nicht, aber es war ungewohnt für sie, Hiltrud nicht in ihrer Nähe zu wissen. Ihr hätte sie jetzt das Herz ausschütten können, auch wenn sie sich dafür wieder einmal eine Standpauke eingehandelt hätte. Ihre Freundin wollte jedoch mit Frau Mechthild nach Arnstein ziehen, um Thomas abzuholen. Die beiden würde sie erst im Herbst wiedersehen. Kordula war in Konstanz zurückgeblieben, um noch möglichst viel Geld zu verdienen. Nach dem Ende des Konzils wollte sie Marie folgen und mit ihrer Hilfe in Rheinsobern eine Schenke aufmachen.
Michel trat mit einem Mal dicht hinter Marie und legte ihr die Hände auf die Schultern. Sie wollte ihn schon abwehren, doch da begann er zu reden. Zunächst vermied er es, von sich oder ihnen beiden zu sprechen, sondern erzählte ihr, dass ihrem Onkel Mombert der weitere Aufenthalt in Konstanz verleidet war und er vom Pfalzgrafen Ludwig das Privileg erwirkt hatte, sich in Rheinsobern als Böttchermeister niederzulassen. Wilmar, der dort Momberts Schwiegersohn werden würde, und die alte Wina begleiteten die Familie.
Als er begann, die Gegend zu schildern, in die sie kommen würden, wurde Marie klar, dass sie ihn nicht so behandelte, wie er es verdiente, und senkte beschämt den Kopf.
»Es tut mir Leid, Michel, wegen der Heirat, meine ich.«
»Mir tut es nicht Leid.« Michel zog sie mit einem zufriedenen Laut an sich. »Meine Marie! Ich habe dich schon immer geliebt, aber nie zu hoffen gewagt, dass aus uns beiden ein Paar werden könnte.«
»Aber wirst du vergessen können, was in den letzten fünf Jahren geschehen ist?«
»Nein. Das will ich auch gar nicht. Es war eine harte Zeit für dich, in der du viel Mut und Tapferkeit bewiesen hast, genau das, was du als Frau eines Kriegers auch weiterhin benötigen wirst. Diese Jahre waren auch für mich nicht gerade einfach, aber wir haben wohl das Beste daraus gemacht. Im Übrigen heiratest du mit mir immerhin einen offiziell bestallten Burghauptmann und Stadtvogt von Rheinsobern.«
»Der mit so etwas wie mir geschlagen ist.« Maries Stimme klang bitter.
Michel lachte jedoch nur leise. »Was ich bin, verdanke ich auch dir, Marie. Wenn ich dich nicht so verzweifelt geliebt hätte, wäre ich nie aus Konstanz weggegangen. Die Ehe mit dir bringt mir erneut reichen Gewinn. Wärest du jetzt nicht gewesen, hätte ich es mit viel Glück in zehn, fünfzehn Jahren zum Burgvogt eines zerbröckelnden, zugigen Gemäuers in einem abgelegenen Waldgebirge gebracht, und nicht zu so einer bedeutenden Herrschaft wie Rheinsobern. Normalerweise muss man von Adel sein, um so einen Posten zu bekommen. Ich gebe zu, dass mir meine Rangerhöhung nicht so gefallen hätte, wenn Rheinsobern dem Württemberger zugesprochen worden wäre. Aber unser Herr ist Ludwig von der Pfalz und Herr Eberhard sehr weit weg.«
In Michels Stimme schwang ein Rest Eifersucht, der ihm selbst auffiel und ihn zum Verstummen brachte. Er spielte selbstvergessen mit einer Locke ihres Haares, das in der Abendsonne wie Gold glänzte, und lächelte ihr verliebt zu. Als ihre Heimatstadt im Osten entschwand, führte er Marie nach vorne zum Bug des Schiffes.
»Du darfst nicht mehr zurückschauen, meine Liebste. Richte den Blick auf die Zukunft, und du wirst uns beide dort sehen, die schöne und reiche Burgherrin von Rheinsobern und mich, deinen Gemahl.«
Marie lachte. »Gemahl? Du redest fast schon so wie Frau Mechthild.«
»Warum nicht? Wenn wir sie und Ritter Dietmar das nächste Mal treffen, werden wir am selben Tisch sitzen. Und wer weiß, vielleicht führt ein Sohn von uns einmal eine ihrer Töchter heim.«
Das war Marie dann doch etwas zu weit vorausgegriffen. Doch als sie über diese Worte nachdachte, hatten sie einen recht angenehmen Klang.
Epilog
A . D. 1410 – Die Lage im Heiligen Römischen Reich der Deutschen und in der katholischen Christenheit ist gleichermaßen verworren. König Ruprecht ist tot, und um sein Erbe streiten sich die beiden Vettern Sigismund und Jobst von Mähren. Sigismund wird sich
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