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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Er trat noch näher, hob Maries Kinn an und prüfte sie wie einen zu verkaufenden Gaul. »Ich habe schon mit Hiltrud über dich gesprochen, und wir sind fast schon handelseinig. Wenn du wieder gesund bist, kommst du als Magd zu mir, hilfst mir beim Verkauf meiner Teller und Töpfe und wäschst und flickst meine Sachen. Keine Sorge, ich bin nicht knauserig. Das kannst du auch Hiltrud sagen, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig ist. Sag ihr auch, ich käme später noch einmal vorbei, um mit ihr zu sprechen und ein anderes Geschäft mit ihr zu betreiben.«
    Er grinste dabei zweideutig und machte eine Bewegung, als wolle er Maries Brüste anfassen, die sich unter dem Kittel abzeichneten. Marie versteifte sich und hob die Hand, um den Mann abzuwehren, doch da richtete er sich auf und rannte zu seinem Stand zurück, an dem eine schwer beladene Frau mit drei ausgelassen herumspringenden Kindern stehen geblieben war. Marie starrte dem Mann angewidert nach. Er hatte gestunken wie ein Ziegenbock und sie mit einem ähnlichen Blick gemustert wie Utz Käffli im Turm. Marie schauderte bei dem Gedanken, für so einen Menschen arbeiten zu müssen, und faltete die Hände zu einem Gebet, doch keines von denen, die ihr einfielen, drückte ihre Not aus oder spendete ihr Trost.
    War diese Hiltrud so schlecht, dass sie sie wie ein Stück Vieh verkaufenwollte? Dabei hatte sie doch gesagt, sie wolle sie selbst als Magd behalten. Aber das hatte sie gewiss nur so dahergeredet, denn wie sollte eine arme Hure sich eine Magd leisten können? Wahrscheinlich hatte sie von Anfang an vorgehabt, sie dem Meistbietenden zuzuschlagen wie ein Fass Wein auf einer Auktion. Marie schauderte es bei dem Gedanken. Dann schalt sie sich wegen ihrer schlechten Gedanken. Hiltrud hatte ihr das Leben gerettet und ihre Blöße bedeckt, und das war nicht die Tat einer bösen Frau. Sie war zwar streng zu ihr gewesen, bezahlte aber nun mit ihrem Körper dafür, dass der Apotheker sie verarztet hatte wie ein Mädchen aus gutem Haus.
    Marie stützte den Kopf in ihre Hände und wusste nicht mehr, was sie denken sollte. Sie sehnte sich nach ihrer geordneten Welt zurück, in der sie eine Frau gewesen war und keine Ware, die man nach Belieben verkaufen durfte, und in der man nicht sündigen musste, um sich das tägliche Brot zu verdienen. Schließlich klammerte sie sich an den Gedanken, dass ihr Vater ihr folgen und sie zurückholen würde. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er hier auftauchte, denn es gab nicht viele Straßen, die den Weg vom Petershausener Tor nach Singen kreuzten. Sie würde ihn bitten, Hiltrud ein Häuschen zu kaufen und ein Feld und eine Weide mit genügend Ziegen, so dass sie sich auf ehrliche Art ernähren und Almosen für ihr Seelenheil spenden konnte, und auch den Apotheker gut zu belohnen. Dann sollte ihr Vater sie an einen Ort bringen, an dem sie all die schlimmen Dinge, die ihr widerfahren waren, im Lauf der Zeit vergessen konnte.
    Während Marie sich ausmalte, wie es weitergehen würde, wenn ihr Vater auftauchte, verließ der Apotheker mit einem zufriedenen Lächeln das Zelt. Er winkte ihr kurz zu und verschwand dann in Richtung der grauen Mauern, die sich am anderen Ende des Angers erstreckten.
    Hiltrud steckte den Kopf hinaus. »Du kannst wieder hereinkommen,Marie. Was hältst du von einem Frühstück? Du magst doch Ziegenmilch, oder?«
    »Ich weiß nicht … wahrscheinlich schon.« Marie merkte erst jetzt, dass der Duft des Pfannkuchens, der zu ihr herüberwehte, sie hungrig gemacht hatte. Doch als sie aufstehen wollte, drehte sich alles um sie, und sie sank mit einem Wehlaut zurück.
    Hiltrud streifte sich ihr Kleid über, hob Marie auf und führte sie zu ihrem Lager. Dort half sie ihr, sich so auf der Decke auszustrecken, dass sie ohne größere Schmerzen liegen konnte. Dann nahm sie zwei Becher zur Hand und ging hinaus, um die Ziegen zu melken. Als sie zurückkehrte, hielt sie neben den vollen Bechern auch zwei in Blätter eingewickelte Pfannkuchen in der Hand, die sie Jossis Frau abgekauft hatte. Die Abneigung, die die Dicke gegen Hiltrud hegte, hinderte sie nicht daran, ein paar Münzen an ihr zu verdienen.
    »Schlaf noch ein wenig. Du wirst bald wieder nach draußen gehen müssen, denn spätestens mittags kommen die ersten Kunden«, erklärte Hiltrud ihr zwischen zwei Bissen. »Wenn ich den Winter überleben will, muss ich noch viel Geld verdienen. Ich richte dir ein kuscheliges Plätzchen unter den Weiden her, damit du im Schatten

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