Die Wanderhure
ja Grillen bekommen. Ich helfe die meiste Zeit in den Ställen aus, und das macht mir Spaß.Weißt du, dass sie auf der Burg eine ganze Herde Ziegen besitzen? Thomas, der Knecht, der für sie verantwortlich ist, hat mir versprochen, seinen besten Bock zu meinen beiden Geißen zu lassen. Wenn wir weiterreisen, werden wir wieder kleine Zicklein haben.« Hiltruds Augen leuchteten auf.
Marie hatte für solche Dinge keinen Sinn. »Schön für dich. Aber mich interessieren die Ziegen derzeit nicht. Wenn ich Guda um Arbeit bitte, habe ich keine Zeit mehr, den Gesprächen im großen Saal zu lauschen und dabei mehr über Ruppert zu erfahren.«
Hiltrud wiegte besorgt den Kopf. »Du solltest dich von dort fern halten. Wenn man dich entdeckt, wird man dich noch für eine Spionin des Keilburgers halten, und mit solchen Leuten wird hier wenig Federlesens gemacht.«
Marie machte eine wegwerfende Handbewegung. »So leicht lasse ich mich nicht erwischen. Die Treppe wird selten benutzt, und wenn doch jemand vorbeikommt, tue ich eben so, als würde ich die Waffen und Jagdtrophäen bewundern.«
Hiltrud schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Es ist nicht nur dein Hals, den du riskierst. Wenn du erwischt wirst, wird man auch mich verdächtigen, und wir können dann noch von Glück sagen, wenn wir mitten im Winter auf die Straße gesetzt werden. Wahrscheinlicher ist, dass wir unten im Burgverlies verfaulen.«
»Du siehst viel zu schwarz«, antwortete Marie, war aber froh, dass die Mägde mit dem Abendessen kamen und für einen kurzen Schwatz bei ihnen blieben. Zu ihrer Erleichterung übernahm Hiltrud es, den leicht zu erschreckenden Mädchen ein paar Schauergeschichten zu erzählen, so dass sie selbst ihren Gedanken nachhängen konnte.
Hiltrud hatte Recht. Wenn sie den hohen Herren nachspionierte, riskierte sie nicht nur ihr angenehmes Winterquartier, sondern auch ihr Leben, denn die Männer waren so gereizt, dass sie jeden ihre Wut spüren lassen würden. Trotzdem zog es sie immerwieder zu ihnen hin. Am Anfang, als die Wogen noch höher gingen, hatte es so ausgesehen, als würden die Herren Graf Konrad von Keilburg auf der Stelle die Fehde ansagen und ihn samt seinem Bastardbruder zur Hölle schicken. Doch diese Hoffnung zerstob bald, denn Ritter Dietmar führte seinen Freunden immer wieder vor Augen, dass ein Angriff auf den Grafen nur dann erfolgreich sein würde, wenn sie noch weitere Verbündete gewinnen konnten.
Der Keilburger besaß mehr als doppelt so viele Soldaten, als Ritter Dietmar und seine Verbündeten aufbringen konnten, aber der Graf schien auch nicht so ohne weiteres gegen die Ritter vorgehen zu können. Marie lernte viel über das Fehderecht, welches den Keilburger daran hinderte, Ritter Dietmar oder einen der anderen Herren ohne Vorwarnung anzugreifen, und sie erfuhr, was ihr Gastgeber alles tun oder unterlassen musste, um Graf Konrad keinen Vorwand für eine offiziell erklärte Fehde zu liefern.
Wie die hier versammelten Burgherren war Graf Keilburg gezwungen, Rücksicht auf andere Nachbarn zu nehmen, und in seinem Fall auch auf die Großen des Reiches. Marie wiederholte in Gedanken die Namen derjenigen, die Rupperts Halbbruder am meisten zu fürchten hatte. Da gab es einen Grafen Eberhard von Württemberg. Er war einer der einflussreichsten Adligen im alten Herzogtum Schwaben, das nur noch dem Namen nach bestand. Neben ihm spielten aber auch der Markgraf Bernhard von Baden und Friedrich IV. von Habsburg-Tirol eine große Rolle in dem labilen Machtgefüge, das sich der Keilburger rücksichtslos zunutze machte.
Die auf Arnstein versammelten Herren, die sich auf ihren Burgen so frei dünkten wie der Wind, fürchteten ihre mächtigen Nachbarn, auch wenn sie es nicht offen zugaben. Trotzdem sprachen sie immer wieder davon, mit einem von ihnen ein Bündnis gegen die sich rasch ausdehnende Macht des Grafen Keilburg einzugehen.
Als Marie sich am nächsten Abend wieder auf die Treppe setzte und durch das Geländer spähte, schnitt Dietmar von Arnstein dieses Thema gerade an. »Wir haben doch nur die Wahl zwischen Satan und Beelzebub. Entweder werden wir habsburgisch oder württembergisch, oder der Keilburger frisst uns einen nach dem anderen auf.«
»Ich bin für Herzog Friedrich. Der Tiroler ist der Mächtigste von allen.« Degenhard von Steinzell, der mit seinem Sohn Philipp auf Burg Arnstein weilte, machte aus seiner Vorliebe für den Habsburger auch heute keinen Hehl.
Rumold von Bürggen verzog angewidert
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