Die Wanderhure
Wanderung gingen ihre Interessen in unterschiedliche Richtungen.
Hiltrud genoss das Leben in der Burg mehr, als sie es sich in ihren kühnsten Träumen hätte vorstellen können. Sie wohnten wie Fürstinnen in einem großen Raum, für dessen Kamin immer genügend Brennmaterial da war und dessen Bett so himmlisch weich war, wie es die Wolken für die Engel sein mussten. Man reichte ihnen das beste Essen und ließ sie tun, was ihnen in den Sinn kam. Dafür verlangte man von ihnen nur, dass Marie ihre Pflicht dem Burgherrn gegenüber erfüllte und Hiltrud sich nicht aufreizend den Männern anbot.
Die Mägde, die sie bedienten, behandelten sie zwar ein wenig wie exotische Tiere, wie man sie auf Jahrmärkten für einen Pfennig zu sehen bekam, waren aber freundlich und immer zu einem Scherz bereit. Auch das übrige Gesinde wagte kein abfälliges Wort zu sagen, weil es die Herrin nicht erzürnen wollte. Wie Hiltrud es prophezeit hatte, ließen die Männer Marie in Ruhe. Sie wurden auch bei ihr nicht handgreiflich, plusterten sich aber wie Auerhähne auf, wenn sie an ihnen vorbeiging. Von Zeit zu Zeit schlief sie sogar mit dem einen oder anderen. Giso, der bärbeißigeBurgvogt, zahlte manch blanken Schilling im Wert zu zwölf guten Pfennigen für ihre Gunst. Sie freute sich darüber, denn sie konnte es sich nicht leisten, einen so leicht erworbenen Spargroschen zurückzuweisen.
Im Gegensatz zu den anderen musste Thomas, der leibeigene Ziegenhirt, nichts bezahlen. Er war ein Jahr älter als Hiltrud und von Geburt an verwachsen, so dass er kein Krieger hatte werden können. Er hatte ein schmales Gesicht mit tief liegenden grauen Augen, das von vollem, dunkelblondem Haar umgeben war. Hiltrud gefiel er um seiner selbst willen und nicht wegen seiner Ähnlichkeit mit Ritter Dietmar. Von anderen hatte sie erfahren, dass Thomas etwa sieben Monate nach dem jetzigen Burgherrn geboren worden war. Anscheinend hatte auch der alte Herr auf Burg Arnstein während der Schwangerschaft seiner Gemahlin nicht auf einen weichen Frauenkörper verzichten wollen. Was Hiltrud an Thomas anzog, war sein Geschick im Umgang mit Tieren und seine wunderbar sanfte und kameradschaftliche Art ihr gegenüber.
Er wusste, dass Hiltrud die Männer, mit denen sie für Geld geschlafen hatte, nicht mehr zählen konnte. Trotzdem genoss er ihre Liebe wie ein köstliches Geschenk und freute sich über ihre Zuneigung. Hiltrud versuchte, ihre Gefühle für ihn zu beherrschen, aber das gelang ihr nicht so recht. Es war nicht gut für eine Hure, einen Mann besonders gern zu haben, das hatte sie schon schmerzhaft erfahren. Ihre Liebe durfte den Winter nicht überleben, denn im Frühjahr würde sie ihr altes Leben aufnehmen und wieder über die Straßen ziehen müssen. Deswegen war sie nicht bereit, um ihrer Zuneigung willen auf das, was sie von Giso und anderen bekommen konnte, zu verzichten.
Einmal hatte sie sich sogar mit dem Mönch Jodokus eingelassen, obwohl er nicht besonders gut roch und ihr auch nur ein paar Haller Pfennige für ihre Dienste geboten hatte. Normalerweise hätte sie den Mann abgewiesen, doch das hatte sie nicht gewagt,weil sein Wort bei der Herrin viel galt und Hiltrud Angst gehabt hatte, er würde sie bei Frau Mechthild verleumden. Der Geschlechtsakt war nur kurz und nicht mehr wert gewesen als die vier Pfennige, denn der Mönch hatte keine Erfahrung mit käuflichen Frauen. Dann aber war ihr klar geworden, was der Mönch wirklich wollte, denn er hatte sie mehr als eine Stunde lang über Marie ausgefragt. Später an jenem Abend hatte sie ihre Freundin mit dieser Eroberung geneckt. Marie war jedoch nicht auf ihre Scherze eingegangen, sondern hatte bei der Erwähnung des Namens Jodokus das Gesicht verzogen und ein paar böse Verwünschungen gegen den Mönch ausgestoßen.
Marie war wirklich eigenartig geworden, dachte Hiltrud, während sie mit Thomas in dem kleinen Verschlag über dem Ziegenstall lag, der ihm als Unterkunft diente. Man hatte den kleinen Raum aus ungehobelten Brettern zusammengenagelt, von denen nicht einmal die Borke entfernt worden war, und ihn hoch oben zwischen den Dachbalken befestigt, so dass er wie ein Vogelnest dort hing. Trotzdem war es hier oben sehr gemütlich. Thomas hatte sich aus anderen Holzresten ein Bett, einen kleinen Tisch und zwei Hocker gezimmert. Zwei Borde unter der niedrigen Decke und ein paar aus Astgabeln geschnitzte Haken ergänzten die Einrichtung. Mehr passte in die winzige Kammer auch nicht hinein. Der
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