Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
verteilt und wollen ihn nicht mehr verlassen. Ich habe nach Reimar schicken lassen. Der Minnesänger konnte endlich Auskunft geben, wo sich mein Sohn aufhält, und es ist gar nicht so weit weg.«
Arigund spürte einen heftigen Stich im Magen. Reimar kam zurück. Sie würde ihn wiedersehen, endlich. Die Burgherrin konnte unterdessen ihre Tränen nicht mehr beherrschen. Sie barg ihr Gesicht an der Schulter ihrer Schwiegertochter.
»Ich wollte ihm doch noch so viel sagen«, wisperte sie in Arigunds Ohr.
»Warum tut ihr es nicht einfach. Wir wissen ja nicht, ob seine Sinne schon geschwunden sind.«
Erstaunt sah die Burgherrin sie an. »Ein kluges Kind bist du, wirklich, und du besitzt so eine Herzensgüte, nach alldem … Es tut mir so leid, mein Kind. Ich hätte mich damals für dich und Reimar einsetzen sollen, dann wärt ihr beide jetzt ein glückliches Paar.«
Noch nie hatte die Burgherrin ihre Gedanken so offen ausgesprochen. Arigund schluckte.
»Wenn, ja wenn …«, dachte sie.
*
Ihre Füße brannten wie Feuer, doch noch war ihr Werktag nicht zu Ende. Arigund ließ sich an der Seite von Maria zu Reichenegg im Frauenzimmer nieder. Das kommende Gespräch wollte sie nicht alleine führen. Die alte Hofdame war vielleicht keine angenehme Gesellschafterin, aber sie war Frau Kunigund ergeben und sehr verschwiegen. Jemand hatte den Kamin angemacht, der wohlige Wärme abstrahlte. Seit der Truchsess das Schlagrecht erhalten hatte, gab es Holz im Überfluss. Man musste nicht mehr sparen wie im Winter zuvor. Nach energischem Klopfen trat Sigurd, begleitet von zwei Wachknechten, ein. Er neigte den Kopf gerade so weit, dass es noch der Höflichkeit entsprach.
»Ihr habt mich rufen lassen?«, begann er unhöflich und ohne eine Aufforderung abzuwarten.
Arigund ließ sich Zeit. Der Kerl ließ keinen Zweifel daran, dass er keine hohe Meinung von ihr hatte. Nun denn, er sollte sie kennenlernen.
»Sigurd, mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr in den Stand der Ehe eintreten wollt.«
Überrascht sah der Ritter zu ihr herüber. Genau das hatte Arigund bezweckt. Pater David hatte es sie gelehrt: Wenn du eine Auskunft willst von jemandem, der sie dir nicht geben möchte, frage nie direkt danach, sondern überrasche ihn.
»Ich, ähm, nun, ich besitze ja noch kein Lehen«, meinte Sigurd dann auch verwirrt.
Gebieterisch winkte Arigund ab. »Deshalb habe ich Euch ein Weib auserkoren, das darauf, sagen wir, nicht angewiesen ist. Sie ist von edlem Geblüt und verfügt über die nötigen Mittel, für euch beide zu sorgen.«
Arigund deutete auf die Frau an Ihrer Seite. Sigurd wurde blass. »Nun, die Tugendhaftigkeit der Frau von Reichenegg ist euch wohl bekannt. Vor kurzem erhielt sie Nachricht, dass ihr Neffe kinderlos verstarb, Gott hab ihn selig!«
Teilnahmsvoll ergriff sie die Hand der Hofdame. Die tupfte sich pflichtschuldig die Augen. Sigurd bekam ein gieriges Glitzern in die Augen, blickte aber unsicher auf die Frau, die er so unerwartet ehelichen sollte.
»Sein Lehen ist nicht groß, aber ein fleißiger und tugendsamer Mann könnte es wohl gewinnbringend verwalten. Ihr seid doch tugendhaft, Herr Ritter?«
»Gewiss, Herrin«, antwortete Sigurd hündisch.
»Nun sind uns aber gewisse Gerüchte zugetragen worden – ich gebe zu, ich halte sie für dummes Gerede.«
»Was denn für Gerüchte?«
Ein schuldbewusstes Zucken des Mundwinkels erschien auf dem Gesicht des Ritters, vor allem, als sich jetzt Maria zu Reichenegg einmischte, von der ja jeder wusste, dass sie Haare auf den Zähnen hatte.
»Ihr hurt mit dieser Magd herum, dieser schwarzhaarigen, wie auch immer sie heißen mag«, zischte die Edelfrau.
Der Ritter räusperte sich und bekam rote Hektikflecken. Offenkundig war etwas dran an der Sache.
»Gerüchte, wie Ihr treffend bemerkt habt, Herrin«, krächzte er schließlich.
Arigund nickte äußerst huldvoll. »Da seht Ihr es, Frau von Reichenegg, Herr Sigurd ist ein tugendsamer Ritter, genau wie ich sagte.«
Der Ritter atmete schwer. Die Edelfrau aber gab sich unbeugsam: »So soll er es auf die Bibel schwören, dass er die Hure nie begehrt hat.«
»Das wird er sicher, nicht wahr, Herr Sigurd. Ihr seid reinen Gewissens.«
Sie griff nach der Bibel, die auf einem Tischchen neben ihr lag. Nervös trat der Ritter von einer Stelle zur anderen.
»Nun?«, drängte die junge Frau. »Was zögert Ihr, den Eid zu leisten?«
Sigurd knetete seine Hände. »Möglicherweise habe ich sie doch, sagen wir, ein ganz klein wenig
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