Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
herrschte den Ritter an: »Packt Euch, Mann, und lasst Euch nie wieder bei mir sehen! Was seid ihr doch für ein unmoralischer Mensch!«
Sigurd schlich davon wie ein geprügelter Hund. Arigund und Maria sahen sich lange an. Ihr Schweigen wurde von der Burgherrin gebrochen. Blass wankte sie in den Raum und flüsterte: »Der Truchsess, er ist eben von uns gegangen.«
Sie fiel Maria zu Reichenegg geradezu in die Arme. »Was soll ich denn jetzt tun, ohne ihn?«, hauchte Frau Kunigund.
Und mit einem hemmungslosen Spieler als Sohn, der sich an der Geldschatulle schadlos hält, dachte Arigund. Laut aber sagte sie: »Das Schreiben, Ihr solltet es gut verbergen, bis Reimar eingetroffen ist.«
K APITEL 19
Es war ein milder Frühlingstag, als man den Truchsess zu Grabe trug. Da das Reisen immer noch beschwerlich war, hielt sich die Größe der Trauergemeinde in Grenzen. Wirtho von Brennberg führte den Trauerzug an, je einen Arm reichte er seiner Mutter und seiner Gattin. Arigund hatte mit Staunen eine Veränderung an ihrem Gatten festgestellt. Während er sich früher einen Dreck um sie geschert hatte, richtete er seit dem Tod seines Vaters freundliche Worte an sie und bemühte sich sogar um höfliche Konversation. Auch seiner Mutter stand er tröstend zur Seite. Sollte Arigund sich doch in ihm getäuscht haben? Oder hatte es einer Tragödie wie des Todes seines Vaters bedurft, um den jungen Ritter zur Besinnung zu bringen? In jedem Fall bemühte auch Arigund sich, ihm keinen Grund für Ärgernisse zu liefern. Sie behandelte ihn zuvorkommend, legte die besten Happen auf seinen Teller, blieb bei offiziellen Anlässen stets drei Schritte hinter ihm und äußerte sich nur positiv über ihren Gemahl. Für Fremde musste es den Anschein haben, als führten die beiden eine harmonische Ehe, die Gott ohne Zögern mit einem Kind gesegnet hatte. Wirtho präsentierte sich als vollendeter Gastgeber, reichte hier eine Hand, machte da eine Verbeugung und tauschte dort mit einem Gast Trinksprüche aus. Er versuchte seinen Biergenuss in Grenzen zu halten und überraschte die Gäste durch ein angenehmes Wesen. So war – trotz des traurigen Anlasses – jeder voll des Lobes über den zukünftigen Truchsess von Brennberg, dessen Ernennung durch den Fürstbischof bei niemandem in Zweifel stand. Ein wenig wunderte man sich über Reimars Fehlen, am meisten betrübt war natürlich Frau Kunigund, hatte sie ihm doch eiligst einen Boten gesandt.
Über all dem Trubel hätte Arigund fast vergessen, was Sigurd ihr an jenem Abend, als der Truchsess von ihnen gegangen war, berichtet hatte, wäre sie von Annelies nicht täglich daran erinnert worden, dass es immer noch keine Spur von Luise gab. Auch an diesem Tag kamen die beiden ins Gespräch, während die Zofe ihrer Herrin half, sich für die Nacht zurechtzumachen. Durch das Fenster drangen die Stimmen der Männer, die mittlerweile schon weniger traurig wirkten. Der Abschied vom alten Herrn war im Laufe des Abends in ein Hoch auf den neuen umgeschlagen.
»Hör nur, Annelies, sie huldigen dem neuen Truchsess«, meinte Arigund munter.
»Vergib Ihnen, oh Herr, denn sie wissen nicht was sie tun«, zitierte die Zofe.
»Kannst du Wirtho keine Chance geben, sich als Burgherr zu bewähren?«, ermahnte Arigund. »Er gibt sich wirklich Mühe.«
»Er versucht die Leute einzulullen wie ein hungriger Wolf die Wachhunde der Schäfer. Die streichen auch scheinbar ohne Interesse um die Herde herum, aber wehe, man lässt sie aus den Augen.«
»Wölfe lassen sich zähmen, Annelies, genau wie Hunde.«
»Falsch: Ein Wolf bleibt ein Wolf. In seiner Natur bleibt er ein wildes Tier, das sich am Blut seiner Opfer berauscht.«
»Du meinst also, Wirtho würde sich bloß verstellen? Aber hast du ihn nicht an der Gruft seines Vaters gesehen? Er sah so bedrückt aus. Ich glaube, er trauert wirklich. Vielleicht stand er seinem Vater doch näher, als wir vermutet haben?«
Die Zofe platzierte die Schmuckärmel in der Presse und bürstete das schwarze Samtkleid aus, das Arigund getragen hatte.
»Ich sehe es«, bestätigte sie endlich, »und es macht mir Angst. Was bezweckt Euer Gatte? Er wird doch so oder so Truchsess. Es ist das Recht seiner Geburt.«
Arigund wandte das Gesicht ab und ließ sich in ihrem Bett nieder. Vorsichtig nippte sie an der warmen Milch mit Honig, die für sie bereitstand. Es war sowieso sinnlos, sich über Wirtho Gedanken zu machen. Er war ihr Gatte und würde es bis zu seinem oder ihrem Lebensende
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