Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
Brunnen. Die Zofe war früh dran. Arigund hatte die morgendliche Nähstunde abgesagt. Sie fühlte sich nach einer unruhigen Nacht nicht wohl. Auch Annelies hatte schlecht geschlafen. Was, wenn dieses Pferd Matthias heute wieder angriff? Es war boshaft und würde es vermutlich zeitlebens bleiben.
»Uns fragt keiner nach unserem Befinden«, seufzte die Magd leise. »Man scheucht uns zur Arbeit, egal wie’s uns geht.«
Sie reihte sich bei den Wartenden ein und schaute sich um, ob sie nicht ihre Freundin Luise entdecken könnte. Sie war nicht da. Vermutlich erwartete sie Annelies nicht so zeitig. Die anderen grüßten die Zofe kurz und tuschelten dann weiter. Ein paar Wortfetzen schwappten zu ihr herüber: »… Fieberwahn …«, »… Resl gerufen …«.
»Ist wer krank?«, erkundigte sich Annelies. Die anderen musterten sie ein wenig erstaunt. Doch dann wurde sie von einer hochgewachsenen Frau, die entfernt mit der Resl verwandt war, in das Gesprächsthema des heutigen Tages eingeweiht: »Der Truchsess, es steht nicht gut um ihn.«
Eilig schöpfte Annelies Wasser. Sie rannte so schnell Richtung Küche, dass die Flüssigkeit herausschwappte und in ihre Holzschuhe lief. Unterwegs versuchte sie, sich zu beruhigen. Die Bediensteten übertrieben oft. Vielleicht hatte der Herr einfach nur eine dicke Backe. Wie es ihm wirklich ging, konnte einzig Luise wissen, die ihrer Großmutter oft bei der Behandlung der Kranken half.
Annelies stieß die Tür auf, eilte zum Herd und stellte den Eimer ab. Hier war es angenehm warm. Im großen Kessel dampfte es bereits. Der Koch hantierte mit den Pfannen, das Gesicht voller Mehl. »Gut, dass du kommst«, begrüßte er sie knapp. »Ich brauch dich dringend. Luise ist nicht gekommen heut morgen. Du musst ihre Arbeit machen.«
»Was ist mit ihr?«, fragte Annelies.
»Weiß der Himmel, wo sie steckt. Ich such sie schon seit gestern Abend. Hast du sie nicht gesehen?«
Die Zofe schüttelte den Kopf und begann gemahlene Gerste in das heiße Wasser zu geben. »Vielleicht muss sie der Resl helfen?«
»Nein, die hat sie auch noch nicht gesehen. Zum Kuckuck mit ihr, wenn sie keine gute Ausrede hat.«
Der Koch knallte die Pfanne auf den Ofen, dass es Annelies in den Ohren dröhnte. Vorsichtshalber schwieg sie und rührte den Brei um, obwohl sie viel lieber die Röcke geschürzt und nach ihrer Freundin gesucht hätte. Sie machte sich ernsthaft Sorgen. Luise war zwar manchmal leichtsinnig, aber bei der Arbeit immer zuverlässig. Es war nicht ihre Art, einfach zu verschwinden. Fast der ganze Vormittag verstrich, bis Annelies aus der Küche herauskam, weil Arigund sie rufen ließ. Ihre Herrin hatte dunkle Ringe unter den Augen. Sie war ungewöhnlich blass und hatte sich wieder übergeben müssen. Dennoch war sie nicht davon abzubringen, nach dem Truchsess zu sehen.
»Wie geht es dem Herren?«, erkundigte sich die Zofe vorsichtig.
»Der Zahn ist draußen, aber gestern war der Truchsess sehr erschöpft. Ich hoffe, er hat sich inzwischen etwas erholt.«
»Ich wünsche ihm das auch. Zahnschmerzen sind eine wirklich üble Sache.«
»Soll ich ihm Grüße ausrichten?«
Annelies legte angesichts dieses ungewöhnlichen Vorschlags – schließlich war sie nur die Frau eines Unfreien, maximal eine »Schlaffrau« – den Kopf auf die Seite. »Entscheidet selbst, Herrin«, meinte sie schließlich ausweichend. Arigund nickte und schloss die Tür hinter sich.
Mit geübten Handgriffen schüttelte die Zofe eilig das Bett auf, nahm die Schmuckärmel aus der Presse und legte sie für den Abend bereit – falls Arigund wieder am Nachtmahl teilnehmen wollte. Dann schloss sie die Tür und hastete zur Kammer der unverheirateten Mägde. Da drin war es dunkel und stickig. Es roch nach Schweiß und zu lange getragenen Sachen. Ein kleines Mädchen lag hustend auf einem Strohlager.
»He, Kleine«, sprach Annelies es an, »hast du Luise gesehen?«
Die schüttelte den Kopf. »Schon seit gestern nicht mehr.«
»Und Resl?«
»Weiß nicht genau.« Das Mädchen wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. »Ich glaube, sie ist in die Vorburg gegangen, nach jungen Lindenblättern suchen.«
»Danke und gute Besserung.«
Hastig verließ die Zofe den Raum. Die Sorge um Luise wuchs. Ob sie Resl in die Vorburg folgen sollte? Eigentlich durfte sie nicht so lange fortbleiben. Der Koch hatte ausdrücklich angeordnet, sie müsse sofort wiederkommen, wenn ihre Herrin sie nicht mehr brauche. Annelies war hin- und hergerissen.
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