Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
Pferd dem Raubgesindel entgegen. Das aber hatte den Platz gut gewählt. Mächtige Felsen gaben ihm die Möglichkeit, rasch in Deckung zu gehen, und begrenzten die Bewegungsfreiheit des Pferdes. Plötzlich strauchelte es. Seine Vorderbeine hatten sich in einem Seil verfangen. Der Ritter schwankte. Arigund ahnte, dass der Kampf so gut wie verloren war. Sie sprang vom Wagen und flüchtete ins Gebüsch. Vom Kampfplatz aus hörte sie einen lauten Jubelschrei. Nur kurz blieb sie stehen, dann hastete sie weiter. Mit einem Mal tauchte der Fuhrknecht vor ihr auf. Er stand da und wartete auf sie.
»Lauf!«, rief sie ihm zu. »Bring dich in Sicherheit!«
Doch der schien ohne sie nicht gehen zu wollen. Breitbeinig stand er da, mit grimmig entschlossener Miene. Arigund erreichte ihn und wollte ihn am Ärmel mit sich ziehen, da sah sie das Messer in seiner Hand.
»Was tust du da?«, rief Arigund.
»Euch Eurer gerechten Strafe zuführen«, entgegnete der junge Mann und packte sie wild entschlossen. »Luise war meine Schwester.«
Er hob die Hand mit der Klinge.
»Es tut mir leid!«, hauchte Arigund. »Es tut mir so leid.«
Dann fuhr Reimars Messer in sein Herz. Ein erstaunter Ausdruck machte sich auf dem Gesicht des Knechtes breit. Die Waffe entglitt seiner Hand. Ohne einen Laut brach der junge Mann zusammen. Ein dünnes Rinnsal Blut strömte aus seinem Mund. Arigund stand da und schaute auf ihn herab. Noch nie zuvor hatte sie einen Menschen getötet. Ein Knacken hinter ihr löste sie aus ihrer Starre. Hektisch sah sie sich um. Zwei der drei Räuber standen ihr gegenüber.
»Sauber!«, meinte der eine. »Eine Dame, die mit der Klinge umgehen kann. Dabei hat der Herr Wirtho uns leichte Beute versprochen.«
Arigund schüttelte sich. Also doch: Ihr Gatte hatte nie vorgehabt, sie ins Kloster zu schicken. Ein Unfall auf dem Weg. Raubgesindel, das nicht davor zurückschreckte, sich an einer jungen Frau zu vergreifen. So etwas kam vor. So leicht wurde man Witwer. So leicht kam man an ein Vermögen. Zudem hatte Wirtho jetzt alle Menschen aus dem Weg geschafft, die seine Ernennung zum Truchsess verhindern konnten: seine Mutter, seinen Bruder, seine ungeliebte Gattin. Von nun an konnte er auf Burg Brennberg tun und lassen, was er wollte. In dem Augenblick, als Wirthos Absicht sich Arigund offenbarte, kehrte ihr Kampfgeist zurück.
»Wenn ihr den Tod nicht fürchtet, versucht Euch an mir. Dieser Meuchelmörder hat es bereits mit dem Leben bezahlt. Meines werde ich teuer verkaufen.«
Die Räuber sahen sich fragend an. Sie waren nur noch zu zweit, und der eine hielt sich mit der Hand eine tiefe Wunde am Bein. Ihr Gefährte war von dem alten Ritter niedergestreckt worden, und die Frau schien zu allem entschlossen. Arigund nutzte die Gelegenheit. All die Ratschläge, die ihr Vater seinen Agenten auf die Reisen mitgab, fielen ihr wieder ein. »Räuber«, so pflegte er zu sagen, »wollen Beute machen und am Leben bleiben. Verhandelt mit ihnen, und sie werden euch eures lassen.«
Arigunds Augen flogen hin und her. Der mit dem verletzten Bein schien der Anführer zu sein. An ihn musste sie sich wenden. »Der Herr Wirtho hat Euch also beauftragt, uns zu überfallen und allesamt umzubringen«, sagte sie und versuchte ihre Stimme fest klingen zu lassen. »Nun gut, was hat er euch dafür versprochen?«
Überrascht sah der verletzte Mann sie an. »Pferde und alles, was ihr bei Euch führt.«
»Das ist nicht viel für die Tochter des reichsten Kaufmanns von Regensburg, findest du nicht?«
Das Gesicht der beiden Männer wurde noch länger.
»Ihr habt keine Ahnung, wer ich bin, stimmt’s?«
Die Männer schüttelten die Köpfe.
»Arigund DeCapella ist mein Name, und glaubt mir, mein Vater wird euch mein Leben mit klingender Münze vergelten. Herr Wirtho dagegen wird euch an den nächsten Baum hängen. Ich gehe jede Wette ein, dass seine Häscher sich bereits auf eure Fährte gesetzt haben, oder glaubt ihr tatsächlich, er ließe euch laufen?«
»Versprochen hat er’s«, rief der Hinkende.
»Nichts als leere Worte. Der Brennberger sagt viel und hält nichts. Glaubt mir, ich kenn ihn gut. Hängen werdet ihr, aber vorher wird er euch lachend die Zunge herausschneiden, damit ihr nicht etwa vor dem Galgen euer Maul aufreißt.«
Besorgt sahen sich die beiden um.
»Denkt ihr nicht, ihr könntet aus diesem Geschäft besser herauskommen?«
»Und wie?«, fragte der Hinkende mit lauerndem Blick. Sein Begleiter schwieg und verließ sich offenbar
Weitere Kostenlose Bücher