Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
geheißen. Mit zitternden Händen knotete er die Leinen der Pferde an der Bremse fest und stieg vom Bock, immer nach dem Schwert schielend. Arigund klopfte das Herz bis zum Hals. Aufrecht saß sie da und wartete. Sie nahm sich vor, dem Tod gelassen ins Auge zu sehen, war sie ihm ja schon im Kindbett so nahe gewesen. Bei dem Gedanken wurde ihr seltsam schwermütig. Warum war es ihr nicht vergönnt gewesen, den kleinen Reimar wenigstens einmal im Arm zu halten? Doch was grämte sie sich. Sie würde nun bald bei ihm sein und bei ihrer Mutter. Sie roch den Schweiß des Schlachtrosses, hörte das Klirren des Kettenhemds. Der alte Mann atmete schwer. Seine Hand berührte ihre Schulter.
»Frau Arigund«, sprach er sie an, »nehmt dies!«
Kaltes Eisen berührte ihren Körper, aber es verletzte sie nicht. Erstaunt blickte sie auf. Der Ritter hielt ihr ein kleines Jagdmesser entgegen. Arigunds Augen weiteten sich. Sie kannte diese Klinge.
»Aber die, die gehört Reimar«, stammelte sie.
»Rasch, bevor der Knecht es sieht«, mahnte der Ritter.
Die junge Frau tat, wie ihr geheißen. Zum ersten Mal sah sie den Mann richtig an. Er hatte ein zerfurchtes Gesicht, über dessen Wange sich eine tiefe Narbe zog, was ihm sein finsteres Aussehen verlieh. Seine Augen aber blickten freundlich und ihr wohlgesonnen.
»Warum schickt er mir das?«, flüsterte Arigund.
»Besser, Ihr habt eine Waffe«, antwortete der alte Mann ausweichend. »Man weiß nie, was einem bei so einer Reise widerfährt.«
Fragend zog Arigund die Brauen zusammen. Der Ritter versicherte sich mit einem Seitenblick, dass der Knecht noch mit den Pferden beschäftigt war. Der ließ sich Zeit, offenbar froh, nicht das Schwert des Ritters von hinten im Rücken zu spüren.
»Drei der Räuber, die Ritter Sigurd gefangen hat, sind heute Nacht dem Kerker entflohen«, erklärte der Geharnischte. »Gut möglich, dass sie sich noch herumtreiben und Übles im Sinn haben. Wir wären leichte Beute.«
»Was wollten sie uns schon nehmen?«, seufzte Arigund resigniert.
»Pferde, Wagen und unser Leben.«
Arigund verstand die Bedenken des alten Vasallen nicht. Räuber hatten es auf Geld oder schnell zu verhökernde Waren abgesehen. Was sollten sie mit einem alten Karren und zwei Gäulen, die man rasch als Eigentum des Truchsess erkennen würde, anfangen. Aber zumindest schien von ihrem Begleiter keine Bedrohung auszugehen. Vielleicht würde er ihr sogar auf die Fragen, die sie so quälten, eine Antwort geben.
»Herr Ritter, sagt mir doch, was ist mit dem jungen Herrn Reimar geschehen?«
Die Miene des Mannes verdunkelte sich schlagartig. Er richtete sich auf und wollte seinem Pferd die Sporen geben.
»Ich bitte Euch, im Namen des verstorbenen Truchsess, lasst mich nicht in dieser Ungewissheit. Diese Strafe habe ich nicht verdient.«
Erneut musterte sie der Mann, als wollte er ihr tief ins Herz blicken.
»Glaubt mir, weder der Herr Reimar noch ich haben etwas getan, das den Namen Brennberg beschmutzt. Herr Reimar hat mehr Ehre im Leib als jeder andere. Ich möchte doch nur wissen, ob er noch am Leben ist.«
»Er ist weder am Leben, noch ist er tot.«
»Und meine Zofe? Annelies?«
»Sie ist mit ihrem Mann zusammen von der Burg geflohen. Herr Wirtho lässt nach ihr suchen. Sie wird ihrer Strafe nicht entgehen. Und nun ist es genug. Mein Auftrag lautet, Euch zu den Dominikanerinnen zu bringen. Wir sollten weiterfahren.«
»Nur eines noch, dann will ich mich in mein Schicksal ergeben: Frau Kunigund?«
»Die edle Dame ist schon vor Tagen abgereist. Sie wird in Eichstätt die Ruhe finden, die nottut, die Ereignisse der letzten Zeit zu verarbeiten.«
Mit diesen Worten richtete er seinen Blick nach vorne und scheuchte den Kutscher wieder auf den Bock. Der Wagen ruckelte los. Arigunds Gedanken aber kamen nicht zur Ruhe. Das Verhalten des Ritters war seltsam. Einerseits stand er loyal zu seinem Herren, andererseits hatte er ihr diese Waffe gegeben. Was meinte er wohl damit, dass Reimar weder tot noch lebendig sei?
Erneut musste das Gefährt halten. Ein Baum lag quer. Der Kutscher sprang herunter, die Sache zu besehen. Im selben Moment brach ein Höllengeheul los. Drei finstere Gestalten, bewaffnet mit Steinschleudern und Stöcken, stürzten sich auf den Ritter und seinen Knappen. Letzteren hatten sie schnell überwältigt. Der Fuhrknecht sprang vom Kutschbock und schlug sich in die Büsche. Der alte Ritter dagegen kämpfte mit aller Kraft. Das Schwert hoch erhoben, trieb er sein
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