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Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karolina Halbach
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Erst jetzt stieß Arigund einen spitzen Schrei aus. Mit den Händen versuchte sie ihre Blöße zu bedecken. Vaclav ragte über ihr auf und verschlang sie mit den Augen. Enttäuschung machte sich auf seinem Gesicht breit.
    »Du hast gerade erst geworfen«, stellte er fest, als wäre sie nicht mehr als eine Katze, deren Junge ein Bauer im Sack ertränkte.
    Arigund hielt die Lippen fest geschlossen. Was für ein Widerling! Ungehalten warf er ihr Sachen hin, die dem Geruch nach einer Magd gehört hatten, die vom Waschen nicht viel hielt. Trotzdem grapschte Arigund hastig danach. Vaclav machte wortlos kehrt und ließ sie allein. Mit zittrigen Händen streifte die Kaufmannstochter die Kleidung über und tastete dann verzweifelt nach Reimars Messer. Unter keinen Umständen würde sie es hierlassen, gehörte es doch zu dem wenigen, was ihr von ihm geblieben war – das Messer und seine Lieder.

K APITEL 22
    D EZEMBER 1270
    Es war bitterkalt. Der Winter hatte in diesem Jahr lange auf sich warten lassen, aber nun brach er mit aller Macht herein. Arigund hatte den Eindruck, als wäre zusammen mit den Bäumen auch die Zeit erstarrt. Die goldenen Dächer Prags lagen nach wie vor in unbestimmter Ferne. Zuweilen kam es Arigund vor, als bestünde die Stadt nur in ihren Träumen, doch dann trafen sie Reisende, die geradewegs aus der Handelsmetropole kamen. Zweimal hatte Arigund im Laufe ihrer Wanderung versucht, sich nachts davonzuschleichen und reisenden Kaufleuten anzuschließen. Beide Male war sie von Vaclav erwischt und übel zugerichtet worden. Den Händlern gegenüber gab er sie als sein Weib aus, das wirre im Kopf sei und sich wilde Geschichten ausdenke. Die Fremden schüttelten lediglich die Köpfe. Kein Wunder, dass niemand dem Mädchen Glauben schenkte – die Tochter eines reichen Regensburger Patriziers kam ja wohl kaum in der Kleidung einer Magd und in Begleitung solchen Abschaums daher. Nach diesen Vorfällen hatte Arigund ihre Fluchtpläne aufgegeben.
    Ihre Fahrt war durch zahlreiche Hindernisse verlangsamt worden. Es hatte eine Weile gedauert, bis Arigund verstanden hatte, dass man als »Vogelfreie« nicht einfach die Handelsstraße benutzen und in Gasthöfen oder Klöstern übernachten konnte. Anfangs hatte Wirtho noch intensiv nach ihnen suchen lassen. Deshalb mied Vaclav den Handelsweg, so oft es ging, und schlug sich lieber auf Seitenpfaden durch. Mehrfach stellte sich der »Schleichweg« als Sackgasse heraus, oder er verlief in die komplett verkehrte Richtung. Dann waren sie zum Umkehren gezwungen und verloren viel Zeit. Die Reise selbst wurde mühsamer, je länger sie dauerte. Immer seltener fanden sie ein Dach über den Kopf, und wenn, dann waren es meist üble Spelunken, aus denen der Gestank nach Verdorbenem und Selbstgebranntem drang.
    Ihre beiden Reisegefährten liebten den Alkohol. Arigund lernte rasch, dass es besser war, sich unsichtbar zu machen, wenn der Humpen das zweite Mal zwischen Vaclav und Friedl hin und her gegangen war. Sie wusste von Wirtho, wozu Männer im Rausch fähig waren. Aber immerhin hatte der nicht versucht, sie im Suff an einen Hurenwirt zu verscherbeln oder dazu zu zwingen, fremden Männern ihre weiblichen Reize zu präsentieren, wie Vaclav an den ersten Tagen ihrer Reise. Wenig später hatte er noch einmal im betrunkenen Kopf Anstalten gemacht, Arigund auf sein Lager zu zwingen, doch diesmal war sie vorbereitet. Statt mit dem Messer nur zu drohen, stieß sie es Vaclav in den Arm. Die Verletzung war nicht tief, hatte aber eine sehr ernüchternde Wirkung, zumal sie ihm in unmissverständlichen Worten klarmachte, dass sie sich die Klinge notfalls selbst in den Leib rammen würde, sollte er auch nur noch ein einziges Mal wagen, sie anzufassen. Zu ihrer Verwunderung rang sich der Räuber, der um das Lösegeld bangte, eine Entschuldigung ab. Seit diesem Tag ließ er sie halbwegs in Ruhe.
    Im nächsten Ort waren sie passend zum Jahrmarkt eingetroffen. Obschon die lange Flucht und viele Wegzölle ihre Geldvorräte erschöpft hatten, gab es für Friedl und Vaclav kein Halten mehr. Hilflos blickte Arigund ihnen aus der Luke ihrer Dachkammer nach. Am ersten Tag leerten Hurenhaus und Glücksspiel die letzten Reserven ihrer Reisekasse, am zweiten ersäuften die beiden den Kummer über ihren Verlust mit dem Erlös des einen Kutschpferdes. Sie verkauften das andere, um nicht hungern zu müssen. Arigund gelang es, dem volltrunkenen Vaclav eine Hand voll Münzen zu stibitzen und in ihrem Rocksaum

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