Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
zu verstecken. Der Weitblick bewahrte sie vor dem Verhungern, weil sie sich in einem unbeobachteten Augenblick einen Kanten Brot oder einen Becher Milch leisten konnte, doch seither waren sie auf Schusters Rappen unterwegs. Dorf hatte sich an Markt gereiht und Markt an Siedlung. Längst schon scherte sich Arigund nicht mehr um die Namen, sondern tastete lieber vorsichtig nach ihrem schwindenden Reichtum im Rocksaum. Sie sparte, so gut es ging, und aß gerade genug, um bei Kräften zu bleiben. So war der Hunger ihr ständiger Begleiter und seit Einbruch des Winters auch die Kälte. Je weiter sie nach Osten kamen, umso misstrauischer verhielten sich die Menschen ihnen gegenüber. Mehrfach hatten sie vergeblich bei den Bauern an die Tür geklopft und um ein Lager im Heuschober gebeten. Mit finsteren Blicken und wild geschwungenen Mistgabeln hatte man sie vom Hof gejagt.
Schließlich waren die drei auf einen von Zerfall bedrohten Schafstall gestoßen. Heu war zwar keines mehr darin, und der Ostwind pfiff durch die Ritzen, aber immerhin hatten sie ein Dach über dem Kopf. Friedl, der immer noch wenig sprach, aber geschickte Hände besaß, war nach einer Weile mit einer Hand voll Eiern aufgetaucht. Er strahlte vor Stolz. Arigund wollte lieber nicht wissen, woher er sie hatte. Sie schlürfte gierig das Innere heraus. Die beiden anderen taten es ihr gleich, dann krochen sie gemeinsam unter ihre Decke. Neidvoll blickte die junge Frau zu ihnen hinüber. Die beiden konnten sich wenigstens gegenseitig wärmen. Mittlerweile zog sie sogar in Erwägung, Vaclav zu gewähren, wonach ihn, wie sie wohl wusste, verlangte, aber sie hatte einfach zu viel Angst vor einer Schwangerschaft. Was würde ihr Vater, der selbst eine Magd mit dem eigenen Bankert im Bauch wegschickte, dazu sagen, wenn sie statt mit einem blaublütigen Enkel mit einem solchen Balg daherkam? Zudem schien Vaclavs Trieb ungewöhnlich ausgeprägt. Der Bursche schreckte ja nicht einmal davor zurück, seine Befriedigung bei Friedl zu suchen. Anfangs hatte Arigund befürchtet, Vaclav würde sich irgendwann einfach wieder auf sie stürzen. Doch zu ihrer Erleichterung stellte sie fest, dass der Räuber – solange ihm Friedl zu Willen und er halbwegs nüchtern war – keine weiteren Annährungsversuche machte. Allerdings quittierte Vaclav ihre Prüderie mit ständigen Erniedrigungen. Er ließ sie Dinge tun, die sie nicht schaffen konnte und beschimpfte sie dann wüst als »Schlampe« oder Schlimmeres.
Als sie am nächsten Morgen in gereizter Stimmung weitermarschierten, setzte Vaclav wieder einmal zu einem inzwischen wohlbekannten Lamento an.
»Hätt ich mich nur nie auf die Sache eingelassen«, sagte er zu Friedl, der mit schmerzverzerrtem Gesicht neben ihm ausschritt. Arigund hatte sein leises Jammern unter Vaclavs lustvollem Stöhnen in der letzten Nacht wohl bemerkt. »Was für eine blödsinnige Idee! Nach Prag. Wo liegt das noch mal?«, rief der Räuber über die Schulter zu Arigund, die hinter ihnen herstapfte.
»An der Moldau«, erklärte sie zum tausendsten Mal.
»Das ist ein Fluss«, dozierte Vaclav und machte dabei Arigund nach. »Siehst du, Friedl, die edle Frau weiß, wo Prag liegt und dass die Moldau ein Fluss ist, aber wie wir dorthin kommen, ohne zu verhungern, das kann sie uns leider nicht sagen.«
Friedl nickte nur bedächtig, griff in den Schnee, formte eine Kugel und warf sie zielgenau gegen den Stamm einer Fichte.
»Wenn es darum geht, Essen zu organisieren, da macht sie sich die Hände nicht schmutzig. Wer kriecht nachts in den Hennenstall und greift den Vögeln unters Gefieder? Der Friedl! Wer würde Prügel beziehen, wenn der Bauer ihn erwischt? Auch der Friedl. Sie macht nichts, und sie kann auch nichts.« Vaclav hatte sich immer mehr in Rage geredet. Am Schluss brüllte er die junge Frau so laut an, dass auch ihr der Geduldsfaden riss.
»Hättest du nicht unser ganzes Geld verspielt, versoffen und verhurt, müssten wir nicht frieren und hungern«, schrie sie ihm ins Gesicht.
Da packte sie der Räuber und stieß sie heftig zu Boden: »Du mieses kleines Miststück!«, brüllte er. »Weißt du, was ich mit dir mache, wenn dein Alter nichts für dich rausrückt? Ins verdreckteste Hurenhaus werde ich dich verkaufen.«
Arigund funkelte zurück, ersparte sich aber jeglichen Kommentar. Schließlich stand sie auf, klopfte sich den Schnee ab und meinte schlicht: »Im nächsten Ort ist Weihnachtsmarkt. Vielleicht finden wir Arbeit.«
Vaclav lachte rau
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