Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
und klopfte seinem Kumpel auf die Schulter. »Für unseren guten Friedl hier gewiss, was aber willst du tun? Taschentücher besticken?«
Diesmal lachten beide Männer gemeinsam.
»Ich könnte singen«, schlug Arigund nüchtern vor. Seit ihrer Flucht von der Burg hatte sie das nicht mehr getan, aber auf dem letzten Markt hatte sie Spielleute beobachtet. Sie waren nicht besonders gut gewesen, trotzdem hatte sich der Hut, den sie nach ihrer Vorstellung umgehen ließen, mit klingenden Münzen gefüllt.
»Ach ja, und du glaubst, dir hört jemand zu?«
»Zumindest könnten wir es versuchen.«
»Quatsch, das wird nie etwas«, wiegelte Vaclav ab.
Eine Weile stampften sie wortlos weiter. Noch vor wenigen Wochen hätte sich der Räuber kaum die Mühe gemacht, auch nur eine Sekunde über den Vorschlag nachzudenken. Er hatte alles vermieden, wodurch man auf Arigund aufmerksam werden konnte. Doch mittlerweile war Brennberg weit entfernt und ihre Lage verzweifelt.
»Nun, vielleicht wäre es möglich, dass du zumindest die Leute zum Verweilen bringst. Dann könnte Friedl sie um ihre Börse erleichtern.«
Arigund seufzte. Sie wusste längst, dass Friedl kein gewalttätiger Mensch wie Vaclav war, sondern ein unscheinbarer Taschendieb. Deshalb begingen die beiden selten Schandtaten gemeinsam. Ihr Gefährte Toni, der bei dem Überfall ums Leben gekommen war, hatte mit Vaclav die Raubzüge durchgeführt. Friedl hingegen taugte nur zum Schmierestehen. Er war viel zu ängstlich, aber er hatte ungemein geschickte Finger und stahl wie eine Elster. Vermutlich war er mal erwischt worden, als er jemandem in die Börse gegriffen hatte, und die Bande hatte ihm bei seiner Flucht Schutz und Unterschlupf gewährt.
*
Gegen Mittag erreichten sie die kleine Marktgemeinde. Lehmhütte drängte sich an Lehmhütte. Schwarzer Rauch hüllte die schneebedeckten Sträßchen in einen stinkenden Nebel, der sich in ihre Lungen brannte. Händler und Bauern hatten kleine Stände aufgebaut oder boten ihre Waren auf ausgebreiteten Decken an. Es roch verlockend nach gerösteten Kastanien und heißem Würzwein. Arigund hätte für ihr Leben gern von all diesen Gaumenfreuden gekostet, traute sich aber nicht, nach ihrem heimlichen Münzvorrat zu greifen. Vaclav würde ihn ihr gewiss abnehmen und wie üblich in Branntwein umsetzen. In der hintersten Ecke des Marktes hatten Schausteller eine kleine Bühne errichtet. Gerade zeigte ein Jongleur sein Geschick. Gekonnt wirbelte er sechs Äpfel durch die Luft, die er zuvor einer Bäuerin aus dem Korb geangelt hatte. Er erntete viel Applaus, und man überließ ihm – trotz des Protestes der Frau – die letzte Frucht gerne, nachdem er sie mit dem Mund aufgefangen hatte. Freudig biss der Künstler hinein und räumte die Bühne. Seine Kameraden packten ihre Sachen zusammen. Sie hatten genug verdient, um sich die klammen Hände an einem Becher Würzwein zu wärmen.
»Jetzt oder nie!«, forderte Vaclav Arigund auf und schubste sie unsanft Richtung Bühne. Zögernd kletterte die junge Frau hinauf. Die Menge strebte auseinander. Vaclav gestikulierte heftig. Arigund zog sich die schmutzige Tracht zurecht, trat nach vorne, schwenkte die Hüften so, wie sie es bei Annelies oft gesehen hatte, öffnete den Mund und stimmte das Liebeslied an, das Reimar einst für sie geschrieben hatte. Dabei machte sie einige zunächst unsichere, später durchaus ansehnliche Tanzschritte.
*
»Hört Ihr das, Heinrich?«
Aufgeregt stieß der Knabe seinen Begleiter in die Rippen, was ihm einen tadelnden Blick einbrachte.
»Eine Wandersängerin«, bestätigte sein Begleiter, ein gut gewachsener Ritter mit blondem, leicht gewelltem Haar, das er trotz der Kälte unbedeckt trug. Der Junge drehte den Kopf, um festzustellen, aus welcher Richtung der Gesang ertönte. Nachdem er zu einem Ergebnis gekommen war, packte er seinen Begleiter am Handgelenk und zog ihn mit sich.
»Hier entlang!«, befahl der Kleine. »Von dort drüben muss es kommen. Es hört sich lieblich an.«
Der zehnjährige Jakob, jüngster Spross einer begüterten Weberfamilie aus Graben am Lechfeld mit Namen Fugger, zog den jungen Ritter an der Hand quer über den Marktplatz, schlüpfte an Bauern und Handwerkern vorbei, bis ihm ein Menschenauflauf vor einer einfachen Holzbühne den Weg versperrte. Hier war kein Durchkommen mehr. Der Ritter seufzte. Sie waren unterwegs nach Prag, wohin Jakob von seinem Vater zur Erziehung geschickt wurde, während Heinrich hoffte, den Winter am Hofe
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