Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
Gaunern: Ich fürchte, sie könnten versuchen, Euch erneut zu entführen. Ihnen steht das Wasser bis zum Halse, und sie haben viel Aufwand gehabt. Es könnte möglich sein, dass Vaclav Männer um sich schart, uns zu überfallen. Wir sollten vorsichtig sein. Besser, Ihr bleibt in der Kammer. Dies hier ist das einzige Gasthaus in der ganzen Gegend. Nicht schwer zu erraten, dass wir heute hier rasten.«
Ein wenig nachdenklich kaute Arigund auf ihrer Lippe. Sie fand die Besorgnis des Ritters übertrieben. Vaclav würde sich nie an eine so große Reisegesellschaft wagen. Doch das musste Heinrich nicht erfahren. Wenn sie den Ritter richtig verstanden hatte, bot er ihr an, unter seinem Schutz bis nach Prag zu reisen. Sie war erleichtert darüber. Auf diese Weise würde sie endlich die Goldene Stadt erreichen.
»Heute Nacht werde ich das gerne tun«, begann Arigund vorsichtig, »aber morgen? Ich kann nicht ewig in diesem Zimmer bleiben.«
»Die Kaufleute werden uns Schutz bieten, vor allem, wenn sie erfahren, dass Ihr eine der ihren seid.«
Arigund zog zweifelnd die Augenbrauen zusammen.
»Diese Männer mögen wohl den Namen meines Vaters gehört haben, doch niemand von ihnen kennt mich vom Sehen. Man könnte mich für eine Betrügerin halten. Wie wäre es, wenn ich einfach diese Verkleidung hier anbehielte und Ihr mich vor den anderen als befreundeten Spielmann ausgeben würdet, den Ihr zufällig getroffen habt.«
Zweifelnd musterte sie Heinrich. »Das kauft Euch niemand ab«, meinte er.
»Nun, Ihr habt Euch vorhin täuschen lassen.«
»Beim ersten flüchtigen Blick, ja. Aber Eure Stimme verrät Euch. Sie ist zu hell.«
Arigund musste ihm Recht geben. Nur Kirchenknaben sangen noch in ihrer Tonlage. Doch das konnte die Lösung sein!
»So behaupten wir, dass ich noch nicht im Stimmbruch bin«, schlug sie vor.
»Auch das wird man rasch durchschauen. Euer Körper ist nicht der eines Knaben.«
»Ich kann meinen Busen mit einer Bandage verbergen. Allzu üppig ist er sowieso nicht.«
»Trotzdem kann jeder sehen, dass Ihr erwachsen seid. Eure Stimme müsste tiefer sein, es sei denn …«
Der Ritter unterbrach sich und sah nach unten.
»Es sei was?«, hakte Arigund nach.
»Nun, es gibt Troubadoure in Italien, die man nicht zum Manne werden lässt, wenn Ihr versteht, was ich meine.«
Arigund sah ihn fragend an.
»Nun, es sind, ähm, sie werden … entmannt, damit ihnen die helle Stimme erhalten bleibt.«
Jetzt war es an Arigund zu erröten. »Dann bin ich eben ein solcher.«
»Ein Kastrat«, erklärte Heinrich und verzog merkwürdig das Gesicht.
»Wie unangenehm den Männern der Gedanke ist«, wunderte sich Arigund. Laut wiederholte sie: »Ein Kastrat also.«
»Das würde auch erklären, warum Euch kein Bart sprießt. Ja, damit könnten wir bis Prag durchkommen.«
»Dann sollten wir Jakob einweihen, bevor er sich verplappert«, merkte Arigund an.
»Und einen Namen bräuchtet Ihr noch«, stellte Heinrich fest, der mehr und mehr Gefallen an dem Versteckspiel fand. »Wie wäre es mit Tassilo?«
»Das klingt gut«, begeisterte sich Arigund. »Tassilo« würde ihr Glück bringen. Das fühlte sie ganz tief in ihrem Herzen. Ihr Blick schweifte hinaus zu den verschneiten Bergen des Böhmerwaldes. »Tassilo dal Monte«, schlug sie vor und sah den Ritter erwartungsvoll an.
»Ein wunderbarer Name«, stimmte Heinrich zu und hob den Krug. »Darauf sollten wir trinken.«
Einen Humpen später gesellte sich Jakob wieder zu ihnen. Ihn amüsierte die Idee, aus Arigund »Tassilo« den Spielmann zu machen, köstlich. Vor Begeisterung schlug er sich auf die Schenkel.
*
Am nächsten Morgen wartete ein gesatteltes Maultier auf die junge Frau. »Eigentlich unser Packtier«, vertraute ihr Jakob an, »aber nun sollt Ihr es reiten. Wir durften unser Gepäck auf einen der Handelskarren laden.«
Arigund betrachtete das Tier eingehend. Täuschte sie sich oder hatte das Schicksal sie wieder mit »Marron« vereint. Sie war sich keineswegs sicher und fragte Jakob deshalb, woher er das Tier habe.
»Das stammt von einem Mann, den wir unterwegs getroffen haben«, antwortete der Knabe. »War ein harter Brocken. Der kannte den Wert dieses Tieres ganz genau. Er hat uns eine Menge Münzen abgeluchst, aber ich muss sagen, es ist seinen Preis wert. Als Tuchhändler verfügen wir über zahlreiche Maultiere, aber man bekommt selten ein so starkes und gesundes. Allerdings ist sein Charakter nicht weniger schwierig als Arabellas. Vor allem Herrn
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