Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
sah, verschlug ihm den Atem. Vor seinen Augen verwandelte sich die ärmlich gekleidete Räuberbraut in einen adretten jungen Mann.
In diesem Augenblick öffnete sich erneut die Tür. Heinrichs Blondschopf ragte herein und rief: »Jakob, wo bleibst du …? Oh, Verzeihung«, stammelte der Ritter, »ich dachte dies sei unsere Kammer.«
Hastig zog er sich zurück. Jakob trat hinter dem Vorhang heraus. Er und die junge Frau sahen sich an und kicherten. Im nächsten Moment stand Heinrich wieder im Raum. Energisch stürmte er auf die beiden zu. »Was um Himmels willen ist hier los?«
Die junge Frau drehte sich zu ihm um. Heinrich starrte sie wortlos an, bis bei ihm langsam der Groschen fiel.
»Bei der Heiligen Jungfrau Maria, was ist denn mit dir geschehen?«, polterte er los. »Sind das nicht deine Sachen?«, wandte sich der Ritter an den Jungen.
Der grinste verschmitzt und meinte: »Sie sitzen, wie für sie geschneidert, nicht wahr?«
»In der Tat«, bestätigte Heinrich.
Die junge Frau murmelte: »Meine Kleider waren plötzlich verschwunden. Als ich nichts anderes fand, gab mir Euer Begleiter diese. Selbstverständlich werde ich sie dem jungen Herren unversehrt zurückgeben, sobald ich meine wiederhabe.«
Heinrich nickte. Allmählich gewann er seine gewohnte Souveränität zurück.
»Ich gab Anweisung, sie zu waschen«, erklärte er, »und habe dir hier etwas anderes mitgebracht.«
Heinrich deutete auf ein Kleiderbündel, das er unter dem Arm trug. »Aber dein Haar, was ist damit geschehen?«, wollte der Ritter wissen.
»Ich habe es abgeschnitten. Es war nicht mehr zu retten. Kein Grund zur Trauer, es wächst wieder nach.«
»Nun sieht sie aus wie ein Troubadour«, warf Jakob fröhlich ein, griff nach Heinrichs Laute und drückte sie der jungen Frau in die Hand. »Los, Spielmann«, scherzte er »lass uns deine Balladen hören, damit wir mit dir lachen und weinen können.«
Zu Jakobs Überraschung fasste ihre Begleiterin das Instrument fachmännisch und ließ nachdenklich die Finger über die Saiten wandern. Dann schlug sie wie selbstverständlich die Laute an und stimmte in ein trauriges Liebeslied ein. Die beiden Männer betrachteten sie verblüfft. Schon bei den Minnesängern kam es nicht oft vor, dass einer sein Instrument so gut beherrschte, in den Händen einer Frau grenzte es für sie an ein Wunder. Heinrich trat einen Schritt zurück und lauschte verzückt. Was für eine wunderbare Stimme sie hatte! Und der Reim: Die Verse waren sorgfältig gesetzt, und der Text voller Poesie. Heinrich und Jakob nickten anerkennend, als die junge Frau geendet hatte.
»Du schlägst die Laute wie ein erfahrener Spielmann und trägst wie ein Minnesänger vor«, lobte der Ritter.
»Fehlt nur noch die Gunst einer Minneherrin«, scherzte Jakob.
»Du hast Recht, Junge: Die Lieder würden jeder edlen Dame ans Herz rühren und ihre Sehnsucht wecken.«
»Und überdies bräuchte kein Gatte um ihre Keuschheit zu fürchten, denn mit dir könnte ja nichts passieren«, stellte der Junge trocken fest.
Heinrich lachte herzlich, wobei er eine Reihe weißer, gesunder Zähne zeigte. Er schlug Jakob auf die Schulter.
»Da magst du wohl Recht haben«, gestand er zotig, »aber glaube mir, das ist nicht immer auch im Sinn der Dame. Doch das sind keine Gespräche, die man vor einer Frau führt, mein lieber Jakob.«
Er wandte sich wieder der jungen Frau zu: »Und nun zu dir: Ich denke, es ist an der Zeit, dass du uns deinen Namen verrätst.«
Als der Ritter nur Schweigen erntete, war es Jakob, der stolz hinausposaunte, was er in Erfahrung gebracht zu haben glaubte.
»Sie ist die Tochter eines venezianischen Kaufmanns und wurde von den Männern entführt, die Ihr in die Flucht geschlagen habt, Herr Heinrich.«
Der Ritter musterte die junge Frau. »Entspricht das der Wahrheit?«, fragte er.
Ergeben nickte sie. Jakob sah triumphierend zu dem Ritter herüber.
»Und wie ist dann dein Name?«
»Arigund«, flüsterte die junge Frau.
»Arigund«, wiederholte der Ritter. »Und dein Geschlecht ist?«
»Das der DeCapella aus Regensburg«, meinte sie stockend.
Alle schwiegen für eine Weile, schließlich bat Heinrich: »Jakob, magst du hinuntergehen und uns einen Krug Bier besorgen? Und, Junge, es hat keine Eile.«
Zunächst wollte der Kleine protestieren, war es doch offensichtlich, dass der Ritter ihn wegschickte, um alleine mit Arigund reden zu können. Als er jedoch dessen strenge Miene sah, verließ er wortlos den Raum.
K APITEL
Weitere Kostenlose Bücher