Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
25
Arigund ärgerte sich. Sie hatte sich so fest vorgenommen, nichts über ihre Herkunft preiszugeben, und dann hatte dieser Knabe alles erraten. Solange niemand von ihrem Schicksal wusste, hatte sie sich einreden können, dies alles sei so etwas wie ein unguter Traum, aus dem sie nur aufzuwachen brauchte, um sich in ihrer Kammer in Regensburg wiederzufinden. Jetzt wusste sie, alles war Wirklichkeit. Jeder konnte erfahren, wie es ihr ergangen war, und sich das Maul darüber zerreißen. Sie schämte sich. Ach, würde sich nur der Boden unter ihr auftun und sie verschlingen!
Arigund bemerkte kaum Heinrichs Hand, die sie zu einem hölzernen Schemel geleitete, auf dem sie schluchzend niedersank. Geduldig wartete er, bis sie sich beruhigt hatte. Irgendwann sah sie zu ihm auf und musterte ihren Retter. Jetzt, da er den Waffenrock abgelegt hatte, kam seine schlanke Gestalt gut zur Geltung. Seine Finger waren langgliedrig und fein, gewiss mindestens ebenso gut geeignet, die Laute zu schlagen, wie das Schwert zu halten. Obwohl er die zwanzig kaum überschritten haben konnte, war sein Gesicht vom Wetter gegerbt und seine Augen umkränzt von feinen Lachfältchen, was ihm ein freundliches Aussehen verlieh. Er zog sich einen zweiten Schemel heran und ließ sich neben ihr nieder. Freundlich reichte er ihr Bier in einem irdenen Becher, den Jakob irgendwann gebracht haben musste. Arigund griff danach und trank gierig. Ihre Kehle war trocken, und ihre Augen brannten.
»Du hast Schlimmes hinter dir«, begann er behutsam. »Nun ist es an der Zeit, die Last zu teilen. Sprich also, und ich werde sehen, wie dir zu helfen ist, Arigund von Regensburg.«
Für einen kurzen Moment war sie versucht, ihm ihre ganze Geschichte anzuvertrauen, doch irgendetwas mahnte sie zur Vorsicht. Dieser Mann war geübt im Umgang mit Frauen. Schließlich lebte er von deren Gunst. Was aber würde er tun, wenn er erfuhr, dass sie die entlaufene Gattin eines Truchsess war? Schon seine Ehre verpflichtete ihn, sie Wirtho zurückzubringen. Was der tun würde, war klar: Er wollte sie um jeden Preis loswerden.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen«, begann die junge Frau schließlich zögerlich. »Meine Reisegesellschaft wurde von diesen Räubern überfallen. Bis auf mich kamen alle ums Leben. Als Vaclav, Ihr habt ihn ja kennengelernt, erfuhr, wer ich bin, beschloss er, mich mit sich nach Prag zu nehmen. Das Handelshaus meines Vaters hat dort eine Niederlassung. Er wollte Geld erpressen.«
»Euch ist großes Leid widerfahren, und ich will tun, was in meiner Kraft steht, weiteres zu verhindern«, sagte Heinrich mitfühlend. »Wo fand denn dieser Überfall statt? Ihr müsst seither einen langen Weg zurückgelegt haben.«
Nervös knetete Arigund ihre Finger. Dieser Ritter war ein scharfer Beobachter.
»Auf der Handelsstraße nach Passau. Wir waren nicht weit gekommen.«
»Verzeiht meine Neugierde, aber warum wollte Euch dieser Vaclav bis nach Prag verschleppen? Wäre es nicht viel bequemer gewesen, sich ein Versteck in der Nähe von Regensburg zu suchen, statt eine so weite, unsichere Reise auf sich zu nehmen?«
Er bewegte seine Hände grazil und unterstich seine Worte durch weite Gesten.
»Wer kann schon in den Kopf eines anderen hineinschauen«, versuchte sich die junge Frau herauszureden. »Er hatte wohl Angst vor den Häschern und meinte, im Böhmischen sicherer zu sein.«
»Trotzdem ist es ein langer Weg, zumal ohne Pferde.«
»Oh, anfangs hatten wir Pferd und Wagen, die unsrigen natürlich. Vaclav hat sie nach und nach verkauft und den Erlös verspielt oder versoffen.«
Der Ritter nickte. Diese Erklärung schien ihm einzuleuchten.
»Und als gar nichts mehr ging, hat er Euch aufgefordert zu singen, damit er und sein Kumpan gemütlich die Zuhörer bestehlen konnten.«
Arigund bekam feuerrote Ohren. Woher wusste der Ritter das?
»Jakob und ich haben Euch singen hören«, erklärte Heinrich. »Euer Auftritt hat unsere Aufmerksamkeit so gefesselt, dass es diesem schmächtigen Kerl beinahe gelungen wäre, unsere Reisekasse an sich zu bringen.«
»Deshalb habt Ihr uns also verfolgt«, stellte Arigund fest. »Vaclav muss es geahnt haben. Er war furchtbar wütend auf Friedl.«
»Nun, ehrlich gesagt kam eines zum anderen, und es war in erster Linie Jakobs Idee. Dem Jungen steht der Sinn nach Abenteuern.«
»Vermutlich, weil er noch keine echten hat bestehen müssen«, meinte Arigund trocken.
»Da könntet Ihr Recht haben. Nun aber zurück zu den beiden
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