Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
ritterlichem Werben verwechseln und überhaupt: Wenn sie jemandem eine Kammer in ihrem Herzen zubilligte, dann ja wohl Reimar. Ach, wenn er jetzt hier sein könnte. Wenn er jetzt mit ihr auf dieser Bühne stehen würde! »Konzentriere dich auf deinen Vortrag!«, mahnte sie sich selbst.
Sie ließ noch einmal den Blick über die Menge in dem vollgestopften Raum schweifen, dann versuchte sie, nur noch an ihre Musik zu denken. Die Menschen drängten sich dicht an dicht, sodass man kaum mehr ihre Gesichter ausmachen konnte. Jakob hatte die drei angesehensten Kaufleute überredet, als Schiedsrichter zu wirken. Würdevoll betrat der Älteste von ihnen nun die Bühne und eröffnete den Wettkampf. Zunächst erklärte er die Regeln. Beide Sänger sollten abwechselnd fünf Lieder vortragen, ein jedes mit einer anderen Melodie. Keines von ihnen sollte länger dauern als die Zeitspanne, die ein erwachsener Mann benötigte, um drei Krüge Bier zu leeren. Arigund und Heinrich nickten, um anzuzeigen, dass sie verstanden hatten. Die Schiedsrichter bestimmten, dass der Herr von Meißen beginnen solle, da er in Rang und Namen höher stehe als jener Tassilo dal Monte.
Lächelnd griff der Ritter nach der Kurbel seiner Drehleier und trällerte ein lustiges Lied über ein junges Mädchen, das sich heimlich mit ihrem Liebsten im Wald verabredete und, um ihn zu treffen, den misstrauischen Vater überlisten musste. Er erntete so manchen Lacher und viel Applaus. Arigund konterte mit jenem zotigen Küchenlied, das sie einst auf der Hochzeit ihres Vaters zum Besten gegeben hatte. Sie bemerkte zufrieden, dass es – von einem vermeintlichen Mann gesungen – eine ganz andere Wirkung auf das Publikum erzielte. Die Männer grölten und klatschten den Schankmägden auf den Po. Lediglich Heinrich starrte sie mit offenem Mund an. Trotzdem ging der Punkt am Ende an »Tassilo«. Arigund warf ihm einen triumphierenden Blick zu, während eine junge Frau ihr den Bierkrug füllte und dabei ihr dralles Hinterteil schwenkte. Arigund fasste sich ein Herz und kniff dem Mädchen so, wie sie es von den Männern kannte, herzhaft in die Pobacke. Als das Mädchen quiekend davonsprang, hob sie den Krug an den Mund und nahm einen tiefen Schluck.
Heinrich runzelte die Stirn und hob sein Instrument wieder an. Diesmal trug er eine kurze Ballade vor, von einem jungen Königssohn, dessen Angebetete unerreichbar auf einem hohen Turm festsaß. Sie konnten sich ihre Liebesschwüre lediglich von einer weißen Taube zutragen lassen. Arigund konterte mit einem von Reimars Liebesliedern. Sie gab sich alle Mühe, aber ihre Finger rutschten mehrfach von der Laute, und so passte der Klang des Instruments nicht immer zum Gesang. Entsprechend ging diese Runde und auch die folgende an Heinrich. Arigund beschloss, als Nächstes das von Pater David geschriebene Kirchenlied vorzutragen. Sie hatte richtig kalkuliert: Die Schiedsrichter kamen nicht umhin, dem gottesfürchtigen Gesang ihre Zustimmung zu geben. Zudem steigerte die Punktgleichheit den Wetteifer der Anwesenden. Nicht wenige setzten auf »Tassilo«, die meisten davon waren weiblichen Geschlechts. Heinrich räusperte sich und trug ein Lobeslied auf die Frauen vor. Es war nichts Neues, denn sogar Arigund kannte das Werk von Sängern, die auf Brennberg zu Gast gewesen waren, doch es kam gut an. So manch eine Frau bekam glühende Wangen und leuchtende Augen. Arigund beschloss, es noch einmal mit dem Liebeslied zu versuchen, das sie am Markttag vorgetragen hatte. Schon beim Vortragen merkte sie, dass sie nicht überzeugend für die Zuhörer gewesen war. Sie bekam zwar Applaus, aber der Sieg ging an Heinrich.
Der berühmte Minnesänger prostete den Schiedsrichtern zu und spendierte großzügig ein halbes Fass Bier für die Gäste. Arigund wurde von den Händen, die ihr anerkennend auf die Schultern schlugen, beinahe in die Knie gezwungen. Man zog sie auf eine der hölzernen Bänke und hob die Krüge. Jeder wollte ihre Geschichte hören, und Arigund erzählte artig, sie stamme aus Venedig und sei dem Ruf ihrer einzig wahren Liebe, einem Adelsfräulein, das als Hofdame an den Prager Hof geschickt worden war, gefolgt. Die meisten Männer nickten anerkennend, andere schüttelten verständnislos den Kopf und meinten, es gäbe doch genug Weiber, sodass man sich solcherlei Anstrengungen sparen könne. Krug um Krug wurde den Sängern kredenzt, und Arigund kämpfte rasch mit den ungewohnten Mengen an Bier. Es fiel ihr immer schwerer, den
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