Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
dran, die Beherrschung zu verlieren. Trotzdem zwang er seine Stimme zur Ruhe: »Wer also gab dir das Geld und wofür?«
Die Magd erkannte, dass ihr Lügengebäude eingestürzt war. Die Männer im Schankraum starrten sie mit grimmiger Miene an, und Heinrichs Haupt war purpurrot.
»Ein anderer Kerl war’s!«, stammelte das Mädchen schließlich, »ein Tscheche mit wilden Augen.«
»Und wofür?«, hakte Heinrich ungeduldig nach.
»Herauslocken sollt ich den Spielmann, aber allein. Mehr musste ich nicht tun.«
Heinrich gab einen wütenden Schrei von sich, gefolgt von einem wenig minniglichen Fluch, und stürzte zur Tür hinaus. Noch im Laufen zog er das Schwert.
Trotz der Schneedecke war es draußen schwarze Nacht. Heinrich blinzelte in die Dunkelheit und versuchte irgendetwas zu erkennen.
»Tassilo!«, rief er mit lauter Stimme, doch er erhielt keine Antwort. Verzweifelt umrundete der Ritter das Gasthaus. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Finsternis. Etwas weiter drüben wirkte der Schnee zertrampelt. Voller Hoffnung eilte der Ritter hin. Sein Stiefel stieß gegen einen harten Gegenstand. Heinrich bückte sich und hob ihn auf. Arigunds Messer. Ein wenig frisches Blut schien daran zu kleben.
»Nein!«, brüllte Heinrich voller Zorn. Er sank auf die Knie und ballte die Fäuste.
Jakob eilte herbei.
»Was ist geschehen?«, wollte der Knabe wissen.
»Er hat sie wieder«, flüsterte Heinrich mit zittriger Stimme.
Jakob wandte sich ab und stürmte zum Stall. Heinrich erhob sich mühsam und schlurfte langsam hinter ihm her. Der Junge rannte schon wieder heraus, als der Ritter dort ankam.
»Es fehlen Pferde, Herr Heinrich«, berichtete der Knabe.
Auch die anderen scharten sich mittlerweile um sie.
»Das kann nicht sein«, meinte der Anführer ihrer Reisegesellschaft, »wir haben Wachen aufgestellt.«
»Niedergemetzelt«, erklärte Jakob, »sie liegen im Stroh und rühren sich nicht mehr.«
Wütendes Stimmengewirr erhob sich. Heinrich erwachte endlich aus seiner Starre. Gebieterisch hob er die Hände und sorgte für Ruhe.
»Wartet, wartet!«, rief er laut. »Wir müssen genau überlegen, was jetzt zu tun ist.«
Er wandte sich an Jakob.
»Ist mein Hengst noch da?«, wollte er wissen.
»Steht angebunden an seinem Platz.«
»Gut, dann werde ich den Schurken, die Tassilo entführt und die Knechte gemeuchelt haben, mit leichtem Gepäck nachreiten. Die Herren Kaufleute sollen sehen, was ihnen von ihrem Hab und Gut abgeht und genau darüber Buch führen. Der Wirt möge die Magd ergreifen. Sie muss eingehend befragt werden.«
»Ich werde mit Euch reiten, Herr Heinrich!«, rief Jakob.
Der Ritter blickte den Jungen liebevoll an.
»Diesmal nicht, mein Sohn«, widersprach er.
»Warum nicht?«, begehrte der Junge sofort auf. »Ich könnte …«
Heinrich brachte ihn unwirsch zum Schweigen. »Ich weiß deinen Mut zu schätzen, Jakob, doch bedenke, dass wir schnell sein müssen, wenn wir Erfolg haben wollen. Es liegt aber tiefer Schnee, und du reitest ein kleines Pferd. Arabella würde uns mit ihren kurzen Beinen nur aufhalten. Hol also jetzt bitte meinen warmen Mantel und eine Handvoll Münzen aus unserer Reisekasse. Eil dich! Ich sattle inzwischen.«
Jakob nickte, wenn auch widerwillig, und lief davon, den Wünschen des Ritters nachzukommen. Heinrich bat hastig den Ältesten der Kaufleute, sich des Jungen anzunehmen und ihm notfalls auch zu dem Manne zu bringen, der zukünftig für Jakobs Erziehung zuständig sein sollte. Der Handelsherr nickte mit zusammengebissenen Zähnen und meinte: »Ich hoffe, Herr, es gelingt Euch, die Übeltäter zu ergreifen und ihrer gerechten Strafe zuzuführen.«
Der Ritter bedankte sich kurz und hastete in den Stall. Als der junge Fugger mit Heinrichs Sachen kam, führte der Ritter gerade seinen Hengst heraus. Schwungvoll schwang er sich in den Sattel.
»Wünsch mir Glück, Junge«, verabschiedete sich Heinrich, »und hab ein Auge auf unser Hab und Gut!«
Der Schnee stieb in weitem Bogen, als der Ritter sein Pferd in Galopp setzte. Er machte rasch die Spuren der drei Flüchtigen aus. Sobald sie ein Stück vom Gasthof entfernt waren, zeichneten sie sich deutlich im Neuschnee ab. Die Flucht musste gut geplant gewesen sein, denn so sehr der Ritter seinen Hengst auch antrieb, die Räuber bekam er nicht zu Gesicht.
Heinrich ritt die ganze Nacht. Sein armes Pferd war schweißbedeckt und schon lange in Schritt gefallen. Es stampfte müde dahin. Endlich erreichten sie ein Gehöft.
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