Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
Schellen ankämpfen können. Allmählich begannen ihr die Sinne zu schwinden. Vaclavs Bieratem umwaberte sie. Keuchend presste er sich an sie und zischte ihr ins Ohr: »Du gehörst mir. Wage noch einmal mit diesem Kerl zu gehen und ich versprech dir: Ich finde dich, und dann zerquetsche ich deine zarten Fingerchen, auf dass sie nie wieder die Saiten einer Laute zupfen.«
Dann warf er sie in den Schnee, wo sie nach Luft ringend liegen blieb. Hasserfüllt starrte Arigund ihm nach, während sie versuchte, wieder Gefühl in ihre taub gefrorenen Finger und Klarheit in ihre Gedanken zu bekommen. Kein Zweifel, dass Vaclav es ernst meinte. Dem Räuber zählte ein Menschenleben nichts. Unterwegs hatte er Friedl gegenüber geprahlt, wie einfach es gewesen war, die beiden Knechte, die im Stall hatten Wache halten sollen, zu überwältigen. Der Taschendieb hatte stumm und blass zugehört und sich ansonsten wortkarg gegeben. Er schien Arigund noch wortkarger als früher. Warum nur blieb er bei diesem Ungeheuer Vaclav, das ihn demütigte, ihn schlug und quälte? Im Gegensatz zu ihr war Friedl kein Gefangener! Er konnte doch einfach sein Bündel packen und gehen. Arigund schloss die Augen. Dieser verfluchte Vaclav! Wie sollte sie ihn jemals wieder losbekommen? Ihre letzte Hoffnung war, dass ihr Onkel tatsächlich für sie zahlen würde. Ansonsten – das war Arigund klar – würde der Räuber seine Drohung wahr machen und sie einfach an das nächstbeste Bordell verscherbeln. Ob Heinrich dann noch käme, sie zu retten? Wohl kaum. Auf Brennberg jedenfalls war Lola ein Niemand gewesen, und in Regensburg hatte man nicht mal geduldet, dass die Huren ihr Gewerbe innerhalb der Stadtmauern ausübten. Und überhaupt: Wie kam sie jetzt auf Heinrich? Waren sonst nicht all ihre Gedanken und Sehnsüchte bei Reimar gelegen?
*
Die Wut brannte wie Feuer in seinen Adern. Zum ersten Mal, seit er es besaß, schund Heinrich sein Pferd. Mit aller Entschlossenheit hatte er sich aus den Reihen der Kaufleute gedrängt, als er sah, wie die Magd die reichlich angetrunkene Arigund aus der Wirtsstube herausbugsierte. Ihm war klar, dass das nur zu Schwierigkeiten führen konnte. Arigund dagegen schien vollkommen ahnungslos oder zu betrunken, um die Sache zu durchschauen. Heinrich bemühte sich, irgendwie in Richtung Tür zu kommen, aber es war wie der Versuch, gegen eine Herde Schafe Sturm zu laufen. Ständig wurde er hierhin und dahin geschubst. Ein jeder versuchte, den »Held des Abends« bei sich zu behalten. Als es dem Ritter endlich gelang, den Ausgang zu erreichen, kam die Magd schon wieder herein. In ihrem Gesicht zeigte sich ein verdächtig selbstzufriedener Ausdruck, ihre Faust war fest geschlossen. Voller böser Vorahnungen nahm der Ritter das Mädchen beim Arm und fragte: »Wo ist Tassilo?«
Ein süffisantes Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Der junge Herr hat wohl ein wenig zu tief ins Glas geschaut, und nun kotzt er in den Schnee.«
Sie wollte sich losmachen, doch Heinrich ließ nicht von ihr ab.
»Was ist noch, Herr?«, quengelte sie. »Ich muss wieder an die Arbeit. Der Wirt schaut schon.«
»Ach, so plötzlich?«, spottete Heinrich. »Wo du doch gerade mehr als genug Zeit hattest. Was wolltest du von meinem Spielmann?«
»Die Frage muss doch wohl eher lauten: Was wollte er von mir? Könnt Ihr es Euch nicht denken? Aber seid ganz beruhigt, es ging zwar ein wenig schnell, aber er hat mich gut entlohnt.« Sie klimperte demonstrativ mit den Münzen in ihrer Hand. »Wenn Ihr genauso großzügig seid, dann stehe ich gerne auch Euch zu Diensten.«
Sie kam nicht mehr dazu, ihren üppigen Busen zu schwenken. »Hure, woher hast du das Geld!«, fauchte Heinrich. »Der Spielmann hat’s dir gewiss nicht gegeben.«
Der Ritter schüttelte die Magd wie einen reifen Pflaumenbaum.
»Lasst von mir ab!«, keifte die Magd so laut, dass die anderen Gäste aufmerksam wurden.
»Erst, wenn du mir die Wahrheit sagst.«
»Wenn’s doch so war: Der Sänger gab’s mir für meine Dienste.«
»Lügnerin!«, brüllte Heinrich ungeduldig und hob drohend die Hand.
Der Wirt walzte heran, die Kelle in der Hand wie eine Waffe schwingend.
»Niemals hat er dich auch nur angefasst!«, schrie Heinrich.
»Woher wollt Ihr das denn so genau wissen?«, mischte sich nun der Hausherr ein.
»Man nahm Tassilo seine Männlichkeit bereits als Knabe.«
Plötzlich wurde es ungewöhnlich still im Raum. Heinrich fühlte das Blut in seiner Stirn pochen. Er war nahe
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