Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
der herrschaftlichen, die wurden zu gut beaufsichtigt, aber es trieben sich genug andere Bälger des Haushalts herum. Eines würde schon zu greifen sein. Dem würde er seine Botschaft einbläuen, dass es ja nicht vergaß, sie auszurichten. Als Vaclav das Pförtchen erreichte, war es verschlossen, doch einen Mann wie ihn hielt das von seinen Plänen nicht ab. Innerhalb kürzester Zeit war das Schloss geöffnet. Der Bandit spitzte die Ohren. Kein Geräusch war zu hören. Vorsichtig drückte er gegen die Holzplanken und steckte den Kopf hinein. Der Garten war menschenleer. Vaclav überlegte kurz. Es galt, Geduld zu üben. Er sah sich nach einem Versteck um und fand es in der Holzlege, weit hinten, wo die nicht gehackten Scheite lagen. Behutsam legte er das Holz zur Seite, wodurch eine Kuhle entstand, groß genug, um hineinzuschlüpfen. Zudem gab es eine kleine Tür, durch die die Angestellten das Holz in das Haus holten. Er fand sie unverschlossen und nickte zufrieden. Nun brauchte er nur noch seinen Mantel über sich zu legen, und schon verschmolz er mit der Dunkelheit.
*
Sergio DeCapella glich seinem älteren Bruder äußerlich wie ein Ei dem anderen, nur dass man ihm ansah, wie sehr er gutes Essen liebte. Sein Charakter allerdings war gänzlich verschieden von Antonios. Der jüngere Italiener war von Hause aus bedächtig, neigte dazu, die Dinge zweimal zu überschlafen, bevor er eine Entscheidung traf. Als er Heinrichs Nachricht aus der Burg erhielt, schickte er den Boten ohne Antwort zurück – egal, für wie dringend der Adelsherr sein Anliegen auch hielt, er würde sich gedulden müssen. Heute war der Geburtstag seiner Tochter Aleandra. Konnte etwas wichtiger sein, als in die Augen einer Siebenjährigen zu schauen, der gerade ihr größter Wunsch erfüllt werden sollte: ein Hündchen.
Auch wenn Sergio DeCapella dies mit Verwunderung vernommen hatte – andere Mädchen ihres Alters brannten darauf, eine wertvolle Puppe zu bekommen, um damit vor den Freundinnen anzugeben –, hatte er ihn selbstverständlich zu erfüllen versucht. Er liebte seine Tochter von ganzem Herzen. Deshalb hatte er seine Agenten angewiesen, ein wohlerzogenes Tier guter Abstammung zu besorgen, welches möglichst nicht allzu viele Flöhe mit sich herumtrug. Was sie ihm schließlich brachten, hatte selbst sein Herz schmelzen lassen. Das entzückende Hündchen war weiß wie der Schnee, besaß eine winzige, spitze Schnauze, rabenschwarze, lebhafte Augen und Pfoten, die kaum größer waren als ein Daumennagel. Das Fell stand in alle Richtungen ab, und sein Schwänzchen krümmte sich wichtigtuerisch über dem Rücken. Sergios russischer Agent hatte das Tier mitgebracht. Der hatte Stein und Bein geschworen, es stamme aus einer Linie, die im Palast des Zaren gezüchtet wurde. Man würde dort das lange Fell dieser Hunde kämmen, zu Wolle verspinnen und daraus sündhaft teure Handschuhe fertigen. Sergio nickte anerkennend, bewunderte aber insgeheim die Fantasie dieses Mannes. Immerhin war es eine wunderschöne Gutenachtgeschichte für Aleandra.
Nun musterte Sergio DeCapella das muntere Fellknäuel zu seinen Füßen, während er darauf wartete, dass das Kindermädchen seine Tochter hereinbringen würde. Die kleine Hundedame erwiderte sehnsüchtig seinen Blick.
»Du möchtest wohl ein Stück von diesem wunderbaren Pfefferkuchen?«, erwischte sich der Kaufmann dabei, wie er begann mit dem Hund zu sprechen, als sei er ein Mensch. Der schien seine Worte genau verstanden zu haben und leckte sich über die winzige Schnauze. Der Kaufmann lachte und brach ein Stück von der Leckerei ab. Der Hund setzte sich auf die Hinterpfoten und streckte bittend die Pfoten aus, während er dabei begeistert bellte. DeCapella ließ die Süßigkeit fallen, genau in das zuschnappende Schnäuzchen. In diesem Moment öffnete sich die Türe, und Aleandra stürmte herein. Alle Manieren vergessend, jauchzte das Mädchen laut und stürzte sich auf das Hündchen. Das erschrak zunächst, dann aber leckte es Aleandra bereits über das Gesicht. Die Kinderfrau schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Junge Dame!«, rief sie. »Wollt Ihr zunächst nicht Euren Vater begrüßen, wie es sich gehört?«
Davon wollte das Kind nichts hören.
»Ein Hund, danke, danke, danke, Vater!«, rief sie einfach nur, während sie vor dem Tier kniete. Der Kaufmann räusperte sich. Eilig sprang Aleandra auf, um ihn zu umarmen, wandte sich dann aber sofort wieder ihrem neuen Gefährten zu.
»Nun,
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