Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
der Stadt vor Anker und kosteten Geld, statt welches einzubringen.
Ein weiterer Blitz zuckte über den Himmel, gefolgt von einem dumpfen Grollen. Jetzt wurde es wirklich Zeit. Über wackelige Stege hastend, erreichte das Mädchen die höher gelegenen Straßen der Donauwacht. Völlig atemlos und halb durchnässt gelangte sie zum Zandthaus. Ihrem energischen Klopfen wurde sofort entsprochen. Ein Diener öffnete, und sie schlüpfte herein. Das Erste, was Annelies auffiel, war die Stille im Haus, das Zweite waren die ernsten Augen des Mannes, der ihr geöffnet hatte. Annelies griff nach dem Schriftstück in ihrem Hemd.
»Ich habe einen Brief an den Herren Zandt, von seiner Enkelin Arigund.«
Der Diener nahm das Schriftstück wortlos in Empfang, schien ihm aber keine Bedeutung beizumessen.
»Ich soll ganz sichergehen, dass der Brief den Herren Zandt auch erreicht.«
»Komm erst mal in die Küche, und lass dir einen Becher Würzwein geben.«
»Aber der Brief …«, beharrte Annelies.
Der Diener schob das Mädchen stumm vor sich durch den Gang. Auch in der Küche fehlte das geschäftige Durcheinander, das Annelies gewohnt war. Irgendetwas war passiert, daran gab es keinen Zweifel. Sie wandte sich zu dem Diener um. »Du wirst dem Herren Zandt doch den Brief geben?«
»Gewiss doch, sobald es möglich ist.«
»Warum sollte es nicht möglich sein?«, fragte Annelies ängstlich.
»Der Herr ist krank, das Fieber …«
Annelies war es, als zöge ihr jemand den Boden unter den Füßen weg. Natürlich hatte sie schon davon gehört, dass das Fieber umging. In den ärmeren Wachten wurden bereits viele Tote beklagt. Meist wurden Kinder als Erste von Fieber und Durchfall getroffen. Doch dass die Krankheit nun auch die Patrizierburgen erreichte, war neu. Plötzlich wurde Annelies klar, was es für sie und Arigund bedeuten würde, wenn der alte Zandt dem Fieber erläge. Mit ihm würden all ihre Hoffnung begraben werden. Selbst wenn sich der Kaufmann von der Krankheit erholen sollte, würden Wochen vergehen, eh er die Kraft finden würde, Herrn DeCapella zur Rede zu stellen. Annelies wurde schwach. Sie sackte auf den Hocker, den ihr eine der jungen Köchinnen hinschob. »Setz dich erst mal! Du bist Annelies, nicht wahr? Ich kenne dich.«
Sie schob ihr einen Becher Würzwein hin. »Trink!«, forderte sie das Mädchen auf. »Du bist ja ganz blass geworden.«
Wie in Trance nippte Annelies an dem Becher. »Steht es denn schlimm um den Herrn Zandt?«, fragte die Zofe.
»Der Medicus war gerade da und hat ihn zur Ader gelassen. Man muss die Nacht abwarten, hat er gesagt.«
»Aber wie konnte das nur geschehen?«
»Der Medicus meint, es käme vom Wasser. Ich kann das aber nicht glauben. Unser Wasser stammt nicht aus der Donau. Wir haben einen eigenen Brunnen, gleich neben der Versatzgrube.« Annelies nickte mechanisch. Dann fiel ihr ein, dass Herr DeCapella genau dies stets bemängelte. Er hatte darauf bestanden, dass Versatzgrube und Brunnen möglichst weit voneinander entfernt lagen.
»Ich muss gehen«, hauchte Annelies, »sonst vermisst man mich noch.«
»Kein einfaches Leben mit der neuen Herrin, was?« Die Köchin schaute sie mitleidig an. Arigund starrte eine Weile auf ihren Becher, dann erhob sie sich, ohne weiter von dem Wein gekostet zu haben.
»Man hört ja so dies und das«, versuchte die Köchin noch einmal, Annelies eine Bemerkung zu entlocken.
»Danke für den Wein«, meinte das Mädchen nur und wandte sich zum Gehen.
*
Im Hause DeCapella in der Wahlenstraße stand Katharina DeCapella, vormals Thundorf, vor dem Spiegel und kostete ihren Triumph aus. Ihre Monatsblutung war ausgeblieben, und da die sonst zuverlässig war wie der Vollmond und sie sich zudem seit einigen Tagen mit morgendlicher Übelkeit herumplagte, konnte das nur eines heißen: Sie war schwanger. Das würde ihr Ansehen im Haushalt vermehren. Es würde keine Tuscheleien mehr geben, ob sie überhaupt noch fruchtbar oder ihr Leib nicht etwa schon verdorrt wäre. Der Geist der Anna Barbara Zandt wäre endgültig gebannt, hielte ihr Gatte erst einmal den ersehnten Erben in seinen Armen. Sorgfältig steckte sie ihre Haare zusammen, die zu ihrem größten Ärger von einigen grauen Strähnen durchzogen waren. Genau wie ihrer Mutter, die bereits mit Mitte dreißig komplett ergraut war, hatte Gott ihr das Schicksal auferlegt, schnell zu verwelken. Katharina erfüllte das mit Sorge. Jedermann wusste, dass sich Männer gerne jungen Weibern zuwandten, waren die
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