Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
Küchenmägde hatte auf diese Art schon das Haus verlassen müssen. Magda gehörte zum Glück nicht dazu. Doch Annelies konnte ihre Freundin unmöglich ins Vertrauen ziehen. Es war zu gefährlich. Man würde sie gewiss in Schimpf und Schande aus dem Haus werfen, käme ans Licht, dass sie diesen geheimen Botengang unterstützt hatte. Seufzend beschloss Annelies, sich direkt an die Köchin zu wenden. Sie fand sie im Vorratsraum, wo sie wie immer schimpfte und lamentierte.
Es galt, überzeugend zu sein. »Was für eine Katastrophe! Die Hälfte des Brotes ist schimmlig! Wenn die Herrin das sieht, ist der Teufel los.« Konstantia rang die Hände. »Und Bier gibt es auch keines mehr, weil die Keller der Brauereien allesamt abgesoffen sind. Herr im Himmel! Wir werden verhungern.«
Ein fernes Grollen kündigte ein neues Gewitter an. Jedes barg die Gefahr, dass wertvolle Stadthäuser von einem Blitz in Brand gesetzt und ganze Wachten, wie man die Stadtteile Regensburgs nannte, von der Feuersbrunst bedroht wurden. Die Dächer kapitulierten vor dem Hagel und Dauerregen, auch die Wohnungen wurden feucht. Mücken, sonst um diese Jahreszeit nur vereinzelt zu sehen, waren allgegenwärtig, störten die Nachtruhe, hinterließen juckende Pusteln oder trugen sogar das Fieber in die Häuser. Wenn Annelies nicht bald fortkam, würde sie nass bis auf die Knochen werden und vielleicht würde die Tinte auf dem Brief, auf dem ihre letzten Hoffnungen ruhten, verschwimmen.
»Heizt den Backofen ein! Rasch! Und bringt mir Mehl!« Die Köchin klatschte in die Hände. Dann entdeckte sie Annelies. »Was willst du?«, herrschte sie die Magd an.
»Ich soll Essen ins Spital bringen, für die Bedürftigen.«
Konstantia legte den Kopf schief.
»Wer hat das angeordnet?«, Konstantia beäugte sie misstrauisch.
»Der Herr DeCapella«, log Annelies.
Einen winzigen Augenblick lang hatte das Mädchen das Gefühl, ihr Plan würde scheitern. Dann allerdings sah Konstantia die Möglichkeit, das verdorbene Brot rasch verschwinden zu lassen. Mit ihren mächtigen Armen fegte sie das Regal leer. Die Laibe purzelten in einen Weidenkorb.
»Hier hast du’s, und nun troll dich!«, knurrte die Köchin.
Hastig griff Annelies nach dem Korb, packte ihn bei den Henkeln und eilte auf die Straße hinaus. Dort versank sie sofort knöcheltief im Schlamm. Annelies hielt sich, was sie sonst tunlichst vermied, dicht an den Fassaden der Häuser. Normalerweise blieb man besser in der Mitte der Straße, denn man konnte leicht einmal mit Unrat überschüttet werden, den die Bewohner gewöhnlich einfach aus dem Fenster in die Feuergässchen kippten. Doch der Stadtbach, sonst ein sanft plätscherndes Bächlein, war gewaltig angeschwollen und hatte die Straßenmitte gänzlich überflutet. Annelies watete hastig durch den Schlamm, bis der Wohnturm der DeCapellas außer Sicht war. Jetzt würde sie gewiss niemand mehr aufhalten. Auf der glitschigen Straße hielt sich ohnehin nur auf, wer unbedingt musste. Selbst der Marktplatz, auf dem das Leben normalerweise pulsierte, war wie leer gefegt. In dem Sumpf aus Stroh und Erde tummelten sich nur noch umherstreunende Schweine.
Ihr Weg führte sie hinab zur Donau. Sie erschrak, als sie bemerkte, welchen Raum sich der große Fluss bereits verschafft hatte. Die hafennahen Wachten standen schon zur Hälfte unter Wasser, viele Straßen waren unpassierbar. Das Spital war nur noch über Stege erreichbar, die auf Annelies wenig vertrauenerweckend wirkten. Unter ihnen schob ein bestialisch stinkender Fluss Nachttöpfe, Geschirr und Unrat beiseite. Zweimal kam das Mädchen ins Straucheln und fürchtete, in die Fluten zu stürzen. Ein erster, grell-weißer Blitz durchzuckte den Himmel, als sie endlich die Pforte des Spitals erreichte. Eine hagere Nonne mit tief liegenden Augen öffnete auf ihr Klopfen hin, griff mit einem »Vergelt’s Gott!« nach dem Korb mit dem Brot und verschwand sofort wieder hinter den dicken Mauern.
Annelies sah hinunter zum Hafen. Zahlreiche Handelsschiffe dümpelten unnütz an den Kais, sehr zum Ärger der Fernhandelskaufleute. Die Hochwasser legten die Schifffahrt auf Naab und Donau still und machten die Handelsstraßen unpassierbar. Zwar kannte man die Launen der Donau und zog sie ins Kalkül, doch in diesem Jahr schien sie ihre Possen besonders toll zu treiben. Kein Schiff wagte sich in die Untiefen des erbosten Flusses, und so lagen sie, statt sich mit Silber und Honig beladen auf die Reise gen Osten zu begeben, in
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