Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
Vorhaben durchsetzen wollte, tat sie gut daran, ihn freundlich zu stimmen, auch wenn dies bedeutete, etwas zu tun, was ihr nicht gefiel. Sie hoffte nur, dass nicht gerade jetzt jemand durch die Tür stürmte. Doch es blieb ihr auch keine Zeit mehr, die Dinge abzuwägen, denn DeCapellas Lust duldete keinen Aufschub. Widerwillig gehorchte sie den Wünschen ihres Gatten.
*
Es war nicht Arigunds Absicht gewesen zu lauschen. Eigentlich hatte sie auf der Treppe nur kehrtgemacht, um den Brief, den ihre Großmutter Annelies mitgegeben hatte, von der Kommode zu holen. Doch als sie ihren Vater mit seiner neuen Frau über Annelies reden hörte, hatte sie einfach zuhören müssen. Heiß und kalt war es ihr über den Rücken gelaufen, als sie von Katharinas Plänen erfuhr. So also stellte sich die Thundorferin – denn das würde sie in Arigunds Augen immer bleiben – das vor. Sie plante, das lästige Stiefkind und Annelies zu verheiraten, und zwar so schnell wie möglich.
»Gut zu wissen!«, hatte Arigund sich gedacht, doch dann war die Sache mit der Schwangerschaft gekommen. Arigund hielt die Behauptung für eine glatte Lüge. Wie sollte das denn passiert sein? Ob da dem Vater eventuell ein Bankert, gezeugt in Sünde und wer weiß von wem, untergeschoben werden sollte? Ihr Vater war aber auch zu gutmütig. Wie sie ihn kannte, würde er das Kind sogar in seine Familie aufnehmen, eventuell als seines anerkennen. Empört verließ Arigund ihr Versteck hinter dem Treppenabsatz. Ihr Blick fiel auf ihren Vater in enger Umarmung mit dieser Frau. Was dann geschah, ließ ihr den Atem stocken. Die Thundorferin kniete vor dem Handelsherren. Der stand mit zuckenden Lenden, die Augen halb geschlossen, das Gesicht gerötet. Er stöhnte und flüsterte der Thundorferin Liebesschwüre zu. Arigund war wie vom Donner gerührt. Sie wollte weglaufen, aber ihre Beine gehorchten ihr nicht. Jemand zupfte an ihrem Ärmel, und Annelies flüsterte »Komm!« in ihr Ohr. Seite an Seite huschten die Mädchen die Stufen hoch und hasteten in Arigunds Stube.
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»Sie wird nicht herunterkommen«, stellte DeCapella fest, während er Katharina fürsorglich ein leckeres Stück Hühnchenfleisch in den Mund steckte. Seine Augen hatten noch immer einen glasigen, aber höchst zufriedenen Ausdruck. Seine Frau – inzwischen wieder perfekt gekleidet und frisiert – nickte.
»Nein, wird sie nicht.« Katharina kaute bedächtig, bevor sie fortfuhr. »Nun, vielleicht ist es auch ganz gut, wenn sie sich in nächster Zeit in ihr Zimmer zurückzieht, jetzt, wo das Fieber die Wahlenstraße erreicht hat.«
DeCapella erschrak. »Du meinst, sie könnte eventuell auch daran erkranken.«
Katharina seufzte. »Schon so viele sind daran gestorben.«
»Aber doch nur Alte und Kinder.«
»Mein Vater berichtete, die Hälfte seiner Belegschaft sieche dahin.« Sie machte eine Pause, blickte hinauf zu den Schlafstuben und wandte sich dann ihrer Tochter Hildegard zu.
»Ich meine, es wäre besser, mein Kind, wenn du Regensburg verlässt. Dein Onkel Theobald wird morgen zu seinem Landsitz in die Berge aufbrechen, und ich möchte, dass du ihn begleitest.«
»Wie Ihr wünscht, Frau Mutter«, antwortete das Mädchen mit gesenkten Lidern.
DeCapella starrte nachdenklich auf seinen Teller. Auf einmal schmeckte ihm das Essen nicht mehr. Sorgenvoll runzelte er die Stirn.
»Vielleicht sollten wir auch Arigunds Abreise ein wenig beschleunigen«, meinte er schließlich leise.
Ein kurzes Lächeln schlich sich in Katharinas Gesicht. »Ganz wie du wünschst, mein Gemahl. Ich werde das Notwendige veranlassen.«
DeCapella schluckte. »Aber ich werde es ihr eröffnen.«
K APITEL 6
Die Nachricht von Großvater Zandts Tod erreichte Arigund am Mittag des nächsten Tages. Das Mädchen war wie vom Donner gerührt, und nicht einmal Annelies konnte sie in den nächsten Stunden beruhigen. Am Abend klopfte ihr Vater vorsichtig an die Tür der Mädchenstube. Er fand seine Tochter völlig aufgelöst auf ihrer Bettstatt sitzen. Sie wirkte so blass, als litte sie bereits selbst am Fieber. Der Kaufmann erschrak bei dem Gedanken. Nicht auszumalen, wenn ihr etwas zustieße. Annelies wollte sich stumm zurückziehen, doch DeCapella gebot ihr zu bleiben.
»Was ich zu sagen habe, geht euch beide an«, meinte er mit sanfter Stimme. »Ich bin in Sorge um euer Wohl. Das Fieber rafft immer mehr Menschen dahin, nun sogar deinen Großvater, der doch so ein stattlicher Mann gewesen ist. Ich selbst bin hier durch meine
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