Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
eher wie Schluchzen.
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Die Hiebe klatschten laut. Pater Anselm stöhnte, als die Knoten und Schnüre tief in seine Haut schnitten. Sein Rücken war mittlerweile von Narben übersät, weshalb die neuen Verletzungen immer länger brauchten, um zu heilen. Unzählige Male hatte er sich gegeißelt, seit er damals der Versuchung nachgegeben und all das Unglück über die Burg gebracht hatte. Vielleicht würde er auf diese Weise wenigstens nicht direkt in die Hölle fahren; im Fegefeuer befand er sich bereits. Der Herr hatte ihn durch den gefallenen Engel prüfen lassen und für zu leicht befunden. Er, der einfache Pater, war Satan auf den Leim gegangen. Seither zürnte Gott seinem Diener und den Menschen auf Burg Brennberg. Pater Anselm hatte Arigund nicht beschützen können. Wirtho hatte sich zur Bestie entwickelt und sich wie Kain an seinem Bruder vergriffen. Der junge Truchsess hatte sich in einen Dämon verwandelt, der sich an Unschuldigen vergriff, ohne nach Recht oder Ansehen zu fragen. Die Hörigen suchten ihr Heil in der Flucht, die aber nur wenigen gelang. Wen die Häscher zu packen bekamen, dem drohten unmenschliche Strafen. Immer wieder verschwanden Jungfrauen, deren unglückliche Seelen des Nachts seufzend und wimmernd durch die Gänge der Burg spukten.
Pater Anselm fühlte sich schuldig an all dem Unglück, und so strafte er sich selbst, damit Gott es nicht mehr tat und irgendwann Erbarmen haben würde. Wieder und wieder schlug der Kaplan zu, bis ihm vor Schmerz die Luft wegblieb. Weinend sank er auf dem gestampften Lehmboden der von Verfall bedrohten Kirche in sich zusammen. Das Gotteshaus wurde nur noch von alten Weibern aufgesucht, und selbst die sahen sich ängstlich um, bevor sie die Pforte durchschritten. Nachdem sich sein Atem wieder beruhigt und der Schmerz in seinem geschundenen Leib nachgelassen hatte, flogen Pater Anselms Gedanken zurück zu den beiden Briefen. Konnten sie das Zeichen sein, auf das er so lange gewartet hatte? Wenn ja, was erwartete Gott von seinem Diener? Es dämmerte bereits, als Pater Anselm eine Antwort gefunden zu haben glaubte. Mühsam zog er sich seine verschlissene Kutte über, schleppte sich zum Pferdestall, erklomm seinen alten Klepper und verließ die Burg, ohne dass jemand davon Kenntnis nahm. Um den Priester scherte sich hier schon lange niemand mehr.
K APITEL 32
Arigund staunte. Wien war in der Tat noch prächtiger als Prag. Die Stadt quoll über vor Menschen. Wo immer noch ein Spalt, eine Ecke oder auch nur der Vorsprung eines Hauses ungenutzt gewesen war, hatte man Bretterbuden errichtet, in denen sich alles vom Vieh bis zum Weinfass stapelte. Die Straßen staubten nach der langen Zeit ohne Regen, und die Schweine spähten vergeblich nach letzten Möglichkeiten aus, sich zu suhlen. Heute war Markttag und das Gedränge noch schlimmer als sonst. Arigund war das gerade recht. Als Stadtkind wusste sie, je mehr Menschen sich auf einem Platz ballten, umso weniger scherte man sich umeinander. Seit sie Wien erreicht hatten, kam ihre alte Unternehmungslust wieder zum Vorschein. Sie genoss das Privileg, als Mann des königlichen Gefolges die Stadt unbelästigt durchstreifen zu können. Zwar trug sie kein Schwert und war zu Fuß unterwegs, doch auch so machte man ihr bereitwillig Platz, trug sie doch für alle sichtbar das Wappen des Königs am Mantel. Nachdem der Böhme von den Wienern zunächst misstrauisch beäugt worden war, wurde er mittlerweile allseits gelobt. Die Stiftung einer Figur für Friedrichs Grabmal im Zisterzienserstift hatte sich als kluger Schachzug entpuppt und Ottokar viele Sympathien eingebracht. Die Ankündigung des Dombaus lockte nun Handwerker aus aller Herren Länder und sogar Baumeister aus den angesehenen Dombauhütten in Magdeburg und Meißen nach Wien. Die Kaufleute waren zufrieden. Ihr ohnehin schon florierender Handel erlebte eine Hochblüte.
Arigund schlenderte zu einem Stand mit wunderbaren Gürteln aus geflochtenem Leder, einer neuen Mode aus Italien. Einen solchen zu erstehen war sie ausgezogen. Nur die Ware im Blick, prallte sie mit einem Mann zusammen, der stürmisch hinter einem anderen Stand herausschoss. Ihre Körper prallten gegeneinander. Der Mann, teuer gekleidet und offensichtlich im Kaufmannsstand, trat einen Schritt zurück und bedachte Arigund mit irritiertem Blick. Auch sie musterte ihr Gegenüber und erbleichte.
»Vergebung, hoher Herr«, begann der Mann und verbeugte sich, als er das Wappen des Königs entdeckte. »Ich
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