Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
war unachtsam.«
Arigund schluckte und versuchte ihre Stimme tief zu halten.
»Es ist nichts geschehen«, gab sie Bescheid und wollte sich an ihm vorbeidrängen.
»Verzeiht noch einmal, aber kennen wir uns nicht?«, hielt der Mann sie auf.
»Ich wüsste nicht, woher. Ihr seid …?« Arigund versuchte ihr Gesicht abgewandt zu halten.
»Johannes Ittlinger, Agent im angesehenen Haus des Fernhandelskaufmanns Antonio DeCapella.«
»So haben sich unsere Wege wohl bei einer Reise gekreuzt. Ich bin Sänger und komme viel herum.«
»Werdet Ihr zum Gelingen des Fests beitragen? Ihr steht in königlichen Diensten, wie ich sehe.«
»Richtig.«
»Ich habe Euren Namen nicht verstanden?«
»Weil ich ihn nicht genannt habe, und jetzt verzeiht. Ich bin in Eile.«
Mit klopfendem Herzen hastete Arigund davon. Das war gerade noch einmal gut gegangen. Ausgerechnet dem Ittlinger musste sie hier über den Weg laufen, der sie als Kind mehr als einmal auf seinen Knien geschaukelt hatte. Sie stieß einen Fluch aus, der einem Pferdeknecht alle Ehre gemacht hätte. Zum Glück hatte der Agent sie nicht erkannt. Hoffentlich erinnerte er sich nicht später noch. Voller Panik rannte sie zurück zur Burg, verkroch sich in ihrem Zimmer und wünschte sich, sie könnte sich in eine Maus verwandeln. Als sie nach zwei Tagen das Zimmer immer noch nicht verlassen hatte, klopfte es energisch an ihrer Tür. Sie schwang auf, und die kleine Kunigunde trat ein.
»Ich hab gehört, dir ist nicht wohl«, zwitscherte das Kind, »und wollte mich persönlich nach deinem Befinden erkundigen.«
Ihren ganzen Willen zusammennehmend, richtete Arigund sich auf, doch Kunigunde zeigte ihr an, sie solle liegen bleiben.
»Du bist wirklich sehr, sehr blass. Ich werde dafür sorgen, dass dir Kräutertee gekocht wird.«
»Das ist wirklich gütig von Euch, Kunigunde.«
»Reiner Eigennutz«, scherzte das Mädchen, »ich vermisse unser Puppenspiel.«
»Ich auch, sehr sogar.«
Kunigunde winkte einem Domestiken. »Das habe ich mir schon gedacht, deshalb habe ich dir etwas mitgebracht.«
Sie legte Arigunds Puppe, die mittlerweile mit ärmlichen Kleidern angetan war, auf das Laken. »Die ist geschenkt«, erklärte die Königstochter, »aber unter der Bedingung, dass sie mich weiter zum Spielen besucht.«
Arigund lächelte ein wenig und bedankte sich. Dieses Mädchen war eine Wonne. Hoffentlich blieb ihm ein Schicksal wie ihres erspart. In der Tür wandte sich Kunigunde noch einmal um.
»Beinahe hätte ich es vergessen: Der König lässt durch mich ausrichten, er hoffe doch sehr, dass dein Leiden bis zum großen Fest im nächsten Monat kuriert ist. Er rechnet mit einem deiner wundervollen Lieder.«
»Ich verstehe«, antwortete Arigund leise. »Richte dem König aus, ich befände mich bereits wieder auf dem Weg der Besserung.«
Kunigunde nickte. Sie hatte keine andere Antwort erwartet.
*
Wirtho von Brennberg prüfte noch einmal die Vollständigkeit des Gepäcks. Es würde ein langer Ritt werden bis nach Wien, obwohl sie der Einfachheit halber den größten Teil der Strecke per Schiff auf der Donau zurücklegen würden. Er hatte sich dazu entschlossen, mit großem Gefolge zu reisen. Schließlich musste sich ein Truchsess des Bischofs nicht zurückhalten, sondern konnte durchaus standesgemäß auftreten. Fast alle Burgmannen hatten ihr Bündel schnüren müssen und warteten jetzt auf das Signal zum Abritt. In vielen Augen blitzte die Abenteuerlust. Eine so lange Reise hatte von den Jüngeren noch keiner gemacht.
Wirtho setzte sich an die Spitze und ritt los. Seine Untertanen säumten stumm die Straße oder lugten verstohlen hinter Fensterlöchern vor. Im Gepäck hatte der Truchsess das an seinen Bruder gerichtete Einladungsschreiben. Ohne Zweifel würde es ihm Zutritt zum Fest verschaffen. Der Gedanke an Wien hatte Wirtho nicht mehr losgelassen. Entsetzliche Unruhe plagte ihn, seit er den Boten abgefangen hatte. Täglich ließ er prüfen, ob Ulrich sich noch im Turm befand. Was ihm dabei entging, war die Tatsache, dass es stets der Kaplan war, der nach den Gefangenen sah. Er hatte sich freiwillig angeboten, ins Verlies zu steigen, und der Türmer hatte dankend angenommen. Der korpulente Soldat legte keinerlei Wert darauf, sich durch das enge Loch zu quetschen und den Gefangenen gegenüberzutreten. Zum Ausgleich für Pater Anselms Opferbereitschaft übersah der Türmer großzügig die Tatsache, dass der Körperumfang des Priesters jedes Mal rapide geringer war, wenn
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