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Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karolina Halbach
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dem Humpen, fand ihn jedoch leer. Ein Domestik eilte herbei und goss eilig nach. Wirtho riss das Gefäß aus seinen Händen und führte es erneut zum Mund. Die bittere Flüssigkeit rann beruhigend seine Kehle hinunter. Der junge Truchsess hatte sich gerade den Mund mit dem Handrücken abgewischt, als der Kaplan eintraf.
    War Pater Anselm schon früher dürr und von blasser Hautfarbe gewesen, so war er jetzt nur noch ein flatternder Schatten. Seine Nase ragte wie der Schnabel des Habichts aus seinem gelblichen, von tiefen Furchen durchzogenen Gesicht.
    »Lest vor, Pater«, blaffte ihn Wirtho an, ohne ihn auch nur anzusehen.
    Mit fahrigen Fingern griff der Kaplan nach dem Pergament, strich es glatt und flog mit den Augen darüber.
    »Du sollst es nicht prüfen und mir vortragen, was deinem dummen Geist entspringt, sondern lesen, was dasteht, Wort für Wort!«, donnerte Wirtho.
    »Es …, es ist eine Einladung des Königs von Böhmen an Euren Bruder, Herr«, begann der Kaplan trotzig. »Der König veranstaltet ein großes Fest zur Geburt seines Sohnes Ende September, und er lädt dazu die besten Sänger des Christenlandes ein.«
    Nachdenklich strich sich Wirtho über das Kinn. Daran war zunächst einmal nichts Verdächtiges. Tirilieren konnte sein Brüderchen seit eh und je gut, wenn es auch das Einzige war, wozu man ihn gebrauchen konnte. Wirtho warf dem Kaplan das andere Schreiben vor die Füße.
    »Öffnen und vorlesen.«
    Der Kaplan schaute unsicher auf das Siegel. Dann jedoch gehorchte er.
    »Auch dies ist eine Einladung zum Fest, nur dass Ottokar den Herrn DeCapella natürlich nicht als Sänger, sondern als angesehenen Bürger Prags einlädt.«
    Bürger Prags? Wohnte DeCapella nicht mehr in Regensburg? Konnte man ihn vielleicht vor dem Bischof des Verrats bezichtigen? Es wäre eine hervorragende Gelegenheit, die Schulden loszuwerden, die der Kaufmann immer vehementer einforderte, seit seine heißgeliebte Tochter verschwunden war.
    »Der alte Fuchs tanzt auf zwei Hochzeiten«, grunzte Wirtho.
    »Wenn Ihr verzeiht, Truchsess, der Fernhandelskaufmann unterhält seit jeher eine Niederlassung in Prag, geführt von seinem Bruder Sergio«, erklärte Bruder Anselm.
    »Und warum wird dann der nicht eingeladen?«
    »Vermutlich, weil der Anlass zu wichtig ist. Immerhin geht es um die Geburt eines Thronfolgers. Da wird sich Ottokar nicht mit der zweiten Garde begnügen wollen.«
    Wirtho winkte ab. »Irgendetwas ist faul an der Geschichte. Warum meinen Bruder und nicht mich, aber dagegen den Handelsherren und nicht den Bruder?«
    »Verzeiht noch einmal, aber ist es nicht so, dass Ottokar mit dem Bayernherzog im Streit liegt, und ist Euer Vater nicht etwa an seiner Seite gegen den Przemysliden in den Krieg geritten?«
    »Verwirr mir nicht den Kopf mit deinem neunmalklugen Geschwätz! Troll dich in die Kirche, und geh beten! Ich muss nachdenken.«

*
    Heinrich hatte seinen Boten mit Bedacht ausgewählt. Ritter Ulrich stammte aus Mähren und war bekannt dafür, sich auch aus scheinbar ausweglosen Situationen befreien zu können. Vorerst war es ihm zumindest gelungen, sich im Fallen zu drehen, sodass er nicht auf dem Kopf landete, wobei er sich sicher das Genick gebrochen hätte. Glücklicherweise kam er mit der gut gepolsterten Schulter auf, über die er sich vorzüglich abrollen konnte. Trotzdem rührte sich Ulrich nicht, bis sich der Deckel des Angstloches wieder geschlossen hatte. Erst dann richtete er sich auf.
    Seine Augen brauchten eine Weile, bis sie sich in dem nach Urin und Rattenkot stinkenden Loch orientieren konnten. Zu seinem Erstaunen bemerkte er, dass er nicht allein war. Im fahlen Licht der einzigen, schmalen Öffnung, die Frischluft einließ und hoch oben angebracht war, stand ein ausgezehrter Mann mit ungepflegtem Bart und Haar. Er hielt einen Stein in der Hand und war bereit zuzuschlagen.
    »Seid Ihr Reimar von Brennberg?«, fragte Ulrich leise.
    »So ist es«, antwortete dieser überrascht.
    »Dann seid hiermit offiziell von König Ottokar II. nach Wien eingeladen. Er wird im September ein großes Fest zur Geburt seines Sohnes Wenzel veranstalten. Und erwartet Euch als Sänger.«
    Der andere brach in ein irres Gelächter aus. Ulrich blieb ruhig stehen und wartete.
    »Im September?«, krächzte Reimar schließlich.
    »Richtig«, bestätigte Ulrich.
    »Dann ist ja noch Zeit zu packen.«
    Ulrich lachte. »So ist es, zu fliehen und zu packen«, bestätigte er.
    Reimar begann erneut zu lachen, doch diesmal klang es

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