Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
schweigt einfach.«
Arigund nestelte an einem Tüchlein, das sie um den Hals trug, und reichte es ihm. »Ich bitte Euch, nehmt dies als Zeichen.«
Ihr Vater hatte es mitgebracht. Es war aus feinstem weißen Leinen und in einer Ecke mit dem Löwenkopf bestickt, also stammte es aus dem Besitz ihrer Mutter. Ihre Hand verweilte in seiner: »Für immer und ewig stehe ich in Eurer Schuld. Nehmt es, Heinrich, als Zeichen meiner Verbundenheit und benetzt mit den Tränen meiner Reue. Ich habe Hoffnung geschürt, wo es keine gab und Leid über Euch gebracht.«
»Sag das nicht, Arigund, sag das nicht!« Heinrich ballte die Faust um das Stückchen Stoff.
Heinrich drückte das Tüchlein an sein Herz. Dann küsste er den Saum und atmete den Duft ein, der daran hing.
»Hätte der Herr mir nur einen Tag vergönnt und ich hätte ihn an deiner Seite verbringen dürfen, so wäre es ein erfülltes Leben gewesen. Hätte Gott mir nur ein einziges Lächeln vergönnt und es wäre deines gewesen, so wäre mir auf ewig warm ums Herz. Hätte ich nur eine einzige Strophe Gesangs vernehmen dürfen und du hättest sie gesungen, ich hätte gewusst, wie sich das Paradies anhört. Arigund …«
Seine Stimme brach. Behutsam drückte sie die Hand, die ihr so viele Tage Halt und Sicherheit gegeben hatte und die in Kürze die Lanze für sie führen sollte. Was verdankte sie diesem Mann nicht alles? Und doch, wieder und wieder hatte sie ihr Herz geprüft: Sein Platz darin war nicht der eines Gatten.
»Wenn ich in meinem Leben jemals einem ehrenhaften Ritter begegnen durfte, Herr Heinrich«, sagte Arigund mit fester Stimme und wieder in das distanzierte »Ihr« wechselnd, »so seid Ihr das. Es bedeutet mir unendlich viel, Euch zum Freund zu haben.«
Heinrich räusperte sich: »Zum Freund, ja.«
Der Ritter schluckte, entzog ihr seine Finger und erhob sich. »Bei meiner Ehre, ich schwöre, bis zu meinem letzten Atemzug wird meine Lanze die Eure sein, Arigund von Brennberg, und meine Ehre die Eure. An jedem Hof Europas werde ich Euer Lob singen, bis mir der Tod die Kehle verschnürt.«
Er verbeugte sich tief vor ihr. Dann entfernten sich seine Schritte. Arigund schloss die Augen. Sie brannten erneut, aber sie besaß kein Tüchlein mehr, ihre Tränen zu trocknen.
Sie betete, bis der Morgen graute, und nickte schließlich ein wenig ein, bis ein sanftes Zupfen an ihrem Gewand und eine wohlvertraute Stimme sie weckten: »Es ist Zeit, sich bereit zu machen, Herrin. Gewährt mir die Gunst, Euch dabei behilflich zu sein.«
Arigund fuhr herum. »Annelies!«, rief sie vollkommen überrascht. Dann lag sie ihrer Zofe in den Armen.
»Wie kommst du hierher? Und wo ist Matthias?«
Die Zofe bedeutete ihrer ehemaligen Herrin, leise zu sein. Seite an Seite verließen sie die Kapelle. Kaum schlossen sich die Kirchenpforten, konnte Arigund nicht mehr an sich halten und bettelte um Antworten.
»Er ist auch hier. Wir bekamen im Frühjahr diesen Brief.«
Annelies fummelte ein Schreiben aus ihrem Mieder, das mit Heinrichs Siegel versehen war.
»Wer brachte es dir und wohin?«, wollte Arigund wissen.
»Ein dürrer, fahriger Kerl, der viel zu gerne lange Finger macht. Er hat uns hierher begleitet, denn der Herr von Meißen versprach ihm reichen Lohn, wenn er uns fände und zu ihm bringen würde. Ich fürchte allerdings, Friedl wird keine Gelegenheit mehr erhalten, seinen Lohn auszugeben, sondern im Turm enden, weil wir die Sachen, die er mitgehen lässt, gar nicht so schnell ihren Besitzern zurückgeben können, wie er neue anschleppt.«
»Ja, er ist ein schlimmer Langfinger, aber er hat ein gutes Herz. Wo hat er Euch gefunden?«
»Nun, zunächst planten wir, nach Passau zu gehen, doch die Häscher des Herrn von Brennberg verstellten uns den Weg. So wandten wir uns gen Osten.«
»An die Saale, ich weiß, denn ihr habt dort Marron verkauft. Die Wege Gottes sind unergründlich. Das Maultier kam zu Jakob Fugger. Er gab es mir zurück und berichtete von Eurer Begegnung. Doch wie ging es weiter?«
»Wir hörten von König Ottokars Aufruf an Siedler für das ungarische Grenzgebiet. Er bietet jedem Mann und seinem Weib die Freiheit, und so wurde Heinburg unser neues Zuhause. Dank der Großzügigkeit des Herrn DeCapella und Eurer Bereitschaft, mir die Mitgift am Tage meiner Hochzeit auszuhändigen, statt sie zu verwalten, verfügten wir über genug Mittel, uns eine kleine Existenz aufzubauen. Mein Matthias steht inzwischen einem eigenen Fuhrbetrieb vor, und wir
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