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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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mich.
    »Er spürt jede noch so kleine Erschütterung, jeden Lufthauch – und er sieht es in deinen Gedanken.«
    »Großartig«, murmelte ich.
    »Und dreh ihm nicht den …«
    Rainelf verharrte wie vom Blitz getroffen und seufzte auf.
    »Was ist?«
    »Nichts …«, brummte Rainelf irritiert. »Für einen Augenblick dachte ich, jemand wäre an uns vorbeigegangen …«
    »Rainelf«, meinte ich lächelnd. »Wir sind bereits in der Geisterwelt. Falls irgendetwas vorbeigekommen wäre, hätten wir es sehen müssen.«
    Rainelf warf mir einen verächtlichen Blick zu. »Ich rede nicht von der Geisterwelt, du Anfängerin.«
    »Schon gut. Aber tu nicht so, als hättest du so unglaublich viel mehr Erfahrung als ich. Ich meine, du bist vielleicht ein Jahr älter als ich, höchstens zwei …«
    Ein tiefes Stöhnen schallte durch die Höhle und ließ Rainelf und mich zusammenzucken.
    Ich sah ihn fragend an. Er nickte bestätigend. Auch in seinem Blick spiegelte sich ein Hauch von Angst. Er wies in die Richtung, aus der das Stöhnen gekommen war.
    Rainelf würde mich nicht weiter begleiten, so hatten wir es besprochen. Wir mussten jede noch so geringe Provokation vermeiden. Ich musste dem Tatzelwurm allein und schutzlos gegenübertreten. Rainelf meinte, das würde sein Interesse wecken und ihn eher geneigt machen, nicht gleich anzugreifen.
    »Keine Angst«, flüsterte er und drückte meine Hand. »Wenn etwas schiefgeht, ruf nach mir und ich bin bei dir, bevor du geblinzelt hast.«
    »Ich weiß.« Ich zwang mich zu einem Lächeln, wandte mich ab und schlich mit erhobener Fackel weiter in die Höhle hinein. Nach der ersten Biegung war Rainelf nicht mehr zu sehen. Die Höhle erweiterte sich zu einem großen Felsendom, in dem spitz zulaufende Steingebilde von der Decke hingen.
    Ich hörte das Plätschern von Wasser und erblickte die ersten Quelltümpel, in denen die bleichen Grottenolme schwammen. Das Stöhnen wiederholte sich, diesmal viel näher. Fasziniert beobachtete ich, wie sämtliche Grottenolme in meinem Blickfeld ein paar völlig synchrone Paddelbewegungen ausführten, ehe sie sich zurück auf den Grund des Tümpels sinken ließen.
    Ich hob die Fackel und blickte mich um. Die Höhle war viel zu weitläufig, um von einer einzelnen Fackel durchleuchtet zu werden.
    »Bist du das, Tatzelwurm?«, fragte ich vorsichtig. Meine Stimme wurde von den Wänden der Höhle hundertfach zurückgeworfen.
    Ich lauschte angespannt auf ein Geräusch, das mir seine Anwesenheit verriet, doch so sehr ich mich anstrengte, ich konnte nur das Plätschern des Wassers hören. Mein Herzschlag beschleunigte sich merklich.
    »Tatzelwurm«, rief ich laut. »Ich bin gekommen, weil ich deinen Rat brauche. Bitte, zeig dich mir.«
    Wieder erklang das tiefe Stöhnen. Es erfüllte die ganze Grotte, unmöglich zu sagen, aus welcher Richtung es kam. Krampfhaft versuchte ich, mich daran zu erinnern, was Kauket mir beigebracht hatte: Respektiere die Geister, Ainwa, sie sind anders als wir, doch sie kennen die gleichen Gefühle.
    »Ich höre dein Stöhnen«, rief ich in die Dunkelheit hinein. »Was lastet dir auf der Seele?«
    Ein seltsames Geräusch ertönte wie das Gleiten von etwas Glitschigem über Fels.
    »Was kümmert dich mein Schmerz?«, hallte eine durchdringende Stimme wider. Erneut konnte ich nicht sagen, woher sie kam.
    Nicht weglaufen, Ainwa, nur nicht weglaufen.
    »Vielleicht … kann ich dir helfen. Wenn du mir sagst, was es ist …«
    »Mir helfen?«, meinte der Tatzelwurm abwägend. Wieder hörte ich dieses seltsam gleitende Geräusch.
    Ich drehte mich im Kreis und blickte mich ängstlich um. Da! Für einen Augenblick hatte ich etwas schwarz Glänzendes vorbeihuschen gesehen.
    »Niemand kann mir helfen. Schon gar nicht verlogenes Wanifenpack. Zerreißen will ich sie … für ihre Mordlust.«
    Großartig! Er hasste Wanifen. Ein kleines Detail, das Rainelf vergessen hatte mir mitzuteilen.
    »Nicht alle Wanifen sind gleich. Bitte … Ich weiß, du kannst in die Köpfe der Menschen sehen. Lies meine Gedanken und du wirst es sehen.«
    Stille … Ich tendierte dazu, das als schlechtes Zeichen zu deuten. Jemand der sprach, konnte einen wenigstens nicht so leicht auffressen.
    »Ahhh … Was für ein kostbares, kleines Ding hat sich hier in meine Höhle verirrt? Lass mich dich ansehen, Kleines.«
    »N–nur zu«, erklärte ich zitternd. Zu fragen, wie der Tatzelwurm mich ansehen wollte, wo er doch angeblich blind war, schien mir im Moment nicht

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