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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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weiter.
    »Ata«, flüsterte ich. Ein mächtiges Grollen erklang. Ata überschritt die Grenze des Kraftplatzes und damit die zur Menschenwelt. Er lief, indem er sich auf die Kanten seiner gewaltigen Schwingen stützte, wie eine gigantische Fledermaus. Sein silbernes Gefieder funkelte im Licht der Sterne. Die Bäume neigten sich fast bis zum Boden, als er sich näherte. Er verharrte unmittelbar hinter mir und bildete mit seinen riesigen Schwingen einen schützenden Kreis um mich. Ich fühlte die angenehme Wärme, die von ihm ausstrahlte.
    Gorman war keinen Schritt zurückgewichen und starrte lächelnd zu Ata hinauf.
    »Ist er nicht wunderschön, Ainwa?«
    »Er wird dich töten, wenn du näher kommst«, sagte ich ruhig.
    »Meinst du?«, erwiderte Gorman ohne den geringsten Anflug von Angst.
    Er ging weiter.
    »Bleib stehen«, sagte ich. »Ich kann Ata nicht zurückhalten, Gorman.«
    Aber Gorman machte keine Anstalten dazu. Er schien Atas Nähe nicht zu fürchten – er schien sie zu genießen.
    »Gorman, nicht!«
    Ata brüllte und stürzte sich auf Gorman.
    Ich fühlte einen schmerzhaften Stich in meiner Brust und wandte mich ab.
    Eine schreckliche Stille breitete sich am Seeufer aus. Ich wagte kaum, zu atmen. Bitte nicht! Bitte, bitte nicht ihn!
    »Interessant«, meinte Gorman.
    Ich hob überrascht den Blick – und traute meinen Augen kaum. Atas riesiges Haupt war unmittelbar vor Gorman zum Stillstand gekommen. Der Geist musterte den Erlkönig aus seinen grauen Augen, völlig reglos.
    Was trug Gorman da in seiner Hand? Einen Stab?
    »Was …?«
    Gorman fixierte mich.
    »In der Nacht des Blutmonds ließ ich mich von den Urukus für kurze Zeit von dir ablenken. Als ich deine Fährte wieder aufgenommen hatte, passierte etwas. Für einen Augenblick fühlte es sich an, als ob mein Handgelenk in hellen Flammen stand, dann war es wieder vorbei. Später, bei Tageslicht, geschah das Gleiche noch einmal.« Gorman lächelte. »Ich brauchte nicht lang, um das mit deinem kleinen Blutgeschenk in Verbindung zu bringen.«
    Er hob seinen rechten Arm in die Luft, und als ich die weiße Haut auf seiner Unterseite betrachtete, dachte ich für einen Moment, mir würde wieder das Herz stehen bleiben.
    Drei filigrane, schwarze Zeichen hoben sich deutlich von der Haut unter seinem Handgelenk ab; ein schreiendes Gesicht für den Alb, das kantige Zeichen des Perchts und schließlich ein Mal, das an einen gewaltigen Vogel erinnerte.
    Jetzt begriff ich. Er hatte es mir sogar gesagt, in jener Nacht im Seemoor. Du hast mir ein mächtiges Geschenk gemacht, Ainwa . Aber ich hatte ihn damals nicht verstanden. Nur aus diesem Grund hatte er das rothaarige Mädchen getötet. Um mir das gleiche Geschenk zu machen, aber umgekehrt hatte der Zauber nicht gewirkt.
    »Jetzt begreifst du endlich, wie eng wir wirklich miteinander verbunden sind«, sagte Gorman lächelnd. Er hob seinen Stab, seinen Eibenstab.
    »Ata«, rief er. »Lass uns jetzt allein.«
    Unfähig, meine Gedanken in Worte zu fassen, beobachtete ich, wie Atas Gestalt erzitterte. Er senkte sein gewaltiges Haupt, stützte sich wieder auf seine Schwingen und entfernte sich rückwärts, bis ihn die Dunkelheit verschluckte.
    Ich rang überrascht nach Luft.
    »Wir sind eins, Ainwa«, sagte Gorman. »Und keiner deiner Geister wird dich vor mir schützen, denn sie sind auch meine Geister. Sobald du sie rufen konntest, konnte auch ich sie rufen. Sobald du ihre Kräfte nutzen konntest, konnte auch ich sie nutzen.«
    Ich musterte Gorman, starr vor Schreck.
    »Du wusstest, dass meine Wanifenkräfte gegen dich nutzlos sein würden. Und du musst auch gewusst haben, dass ich einen Weg gefunden hätte, dir allein gegenüberzutreten, sobald das Elchenband den Dämpfungszauber endgültig gesprengt hätte. Wieso dieser Plan? Wieso Jewas? Wieso musstest du Kauket und Rainelf hierher locken, wenn es dir am Ende doch nur um mich ging?«
    Gorman näherte sich mir langsam, er stand kaum fünf Schritte weit von mir entfernt.
    »Das alles hab ich für dich getan, Ainwa«, sagte er. »Ich habe es getan, um dir Ata wiederzugeben. Glaubst du, ich wusste nicht, dass Jewas versuchen würde, mich zu hintergehen?« Gorman lachte. »Das war der einzige Grund, wofür ich ihn brauchte, er sollte sich dem Duell mit dir stellen und du musstest einen triftigen Grund haben, seine Herausforderung anzunehmen.« Gorman breitete lächelnd die Arme aus. »Niemand kennt dich so, wie ich dich kenne, Ainwa. Ich wusste, du würdest aus

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