Die Wanifen
aus.
»Unmöglich! Was ist das für eine List?«
Ich starrte mit offenem Mund zum Himmel.
Ein riesiger Vogel mit silberig glänzendem Gefieder ließ sich mit mächtigen Flügelschlägen auf den Kraftplatz herabsinken.
Wo er landete, floh der Schnee, floh das Eis … überall um uns herum erwachte das Moor zum Leben, grünes Moorgras und bunte Blumen schossen aus dem Boden.
Ich schützte mich vor dem blendenden Licht, das von seinen Silberfedern reflektiert wurde. Ata schüttelte sein gewaltiges Haupt. Sein langer, spitzer Schnabel war leuchtend blau. Dumpfes Grollen drang aus seiner Kehle, dann stieß er ein helles Brüllen aus. Die wenigen Bäume im Moor verneigten sich vor ihm. Eine blau gewellte Mähne zierte seinen Furcht einflößenden Schädel. Selbst der Bartengryf musste geradezu mickrig neben diesem Wesen wirken.
Ich hörte Jewas’ verrücktes Lachen. »Er gehört mir«, kreischte er. »Ata gehört mir! Du warst tot! Du warst tot!«
Ich schloss für einen Moment die Augen und fühlte das Band, das mich mit meinem Seelengeist verband. Es war so stark, dass es beinahe wehtat. Jetzt verstand ich, was Kauket mir die ganze Zeit über hatte sagen wollen. Atas Macht war so gewaltig, dass ich aufstöhnte. Um ehrlich zu sein, hatte ich große Angst, sie zu entfesseln, aber ich hatte begriffen, dass Ata mir niemals absichtlich wehtun würde, egal, was alle anderen über ihn dachten. Er liebte mich wie seine Tochter … und er hatte nie aufgehört damit.
»Kämpf gegen mich, Ainwa«, kreischte Jewas. »Kämpf gegen mich«, schrie er und rannte mit gezogenem Messer auf mich zu.
»Ata«, flüsterte ich.
Ich riss die Arme auseinander, fast als würden sie von einer unsichtbaren Macht gesteuert.
Ata spreizte seine gewaltigen Schwingen mit einem wütenden Brüllen und sein ganzer Zorn entlud sich auf Jewas.
Ich schloss die Augen. Trotz allem wollte ich das nicht mit ansehen. Ich hörte ein abgehaktes Kreischen, nur sehr kurz. Ata war eine Naturgewalt, aber unnötige Grausamkeit war ihm fremd.
Ich öffnete vorsichtig die Lider und blickte mich um.
Jewas war verschwunden und würde niemals wiederkehren. Auch sein Alb hatte sich in Luft aufgelöst.
Ata und ich waren allein im Moor. Die Mauern des Zwiefelds waren gefallen und ich war wieder frei. Ich konnte gehen, wohin ich wollte.
Ata erhob sich mit einem mächtigen Flügelschlag in die Luft. Der Windstoß seiner Schwingen riss mich fast von den Beinen. Er wandte sich mir zu und segelte langsam wieder zu Boden. Die Sonne verschwand allmählich hinter den Baumwipfeln und es fiel mir jetzt leichter, Ata zu betrachten, ohne geblendet zu werden.
Der Boden unter meinen Füßen zitterte leicht, als er aufsetzte. Behutsam näherte ich mich dieser gewaltigen Kreatur. In seinem silbernen Gefieder hatten sich ein paar Wasserpflanzen aus den Tiefen des großen Sees verfangen. Ata beugte sich mit einem tiefen Grollen zu mir herab und musterte mich. Allein sein azurblauer Schnabel musste doppelt so lang sein wie ich.
Ich begriff jetzt, was Rainelf gemeint hatte. Man brauchte tatsächlich einen starken Willen, um sich von Atas schierer Kraft nicht überwältigen zu lassen.
Seine Augen, von schwarzen Federn umrandet, hatten dieselbe Farbe wie meine – grau. Ich streckte die Hand aus und berührte seinen Schnabel. Er fühlte sich angenehm warm an. Ata verströmte die Wärme des Frühlings.
Hinter mir, in den aufgetauten Tümpeln, hörte ich das vorsichtige Quaken eines Moorfroschs, der zu früh aus seiner Winterstarre erwacht war. Ata senkte sein Haupt noch etwas weiter zu mir herab. Ich strich über seine Federn … Federn war eigentlich das falsche Wort. Es gab überhaupt kein Wort dafür. Wie eine Verschmelzung aus Federn und Schuppen sah es aus. Auch die wilde Mähne auf seinem Haupt bestand aus diesen seltsamen Gebilden.
Seine grauen Augen betrachteten mich mit einem Blick, der die Ewigkeit gesehen hatte.
Ich hatte sterben müssen, um zu begreifen, wieso sich dieses uralte Wesen an mich gebunden hatte. Liebe …
Vielleicht war es das erste Mal in seinem Jahrtausende altem Leben, dass Ata dieses Gefühl empfunden hatte, als mein ertrinkender Vater ihn angefleht hatte, mich zu retten.
Plötzlich ging mein rechter Arm in Flammen auf. Ata stieß ein helles Brüllen aus, als ich vor Schmerz aufschrie. Ich krümmte mich und brach in die Knie. Die Augenblicke, bis der Schmerz verebbte, erschienen mir wie eine Ewigkeit.
Oben aus dem Wald erklang ein dröhnender
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