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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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Jedes dieser Lieder drehte sich nur darum, seinen Zorn auf die Menschen zu besänftigen, damit er uns nicht von seinen Ufern spülte …
    Ich beobachtete zwei Kinder, die mit langen Pflöcken durch das flache Wasser am Ufer wateten und versuchten, die flinken Forellen aufzuspießen, die durch das Wasser schossen. Früher hatte ich das oft mit Gorman versucht. Er hatte manchmal tatsächlich eine erwischt.
    Etwa einhundert Ata lebten in Ataheim in fünfzehn verschiedenen Hütten. Der Teil der Siedlung, der auf dem Land lag, bestand aus einer großen Wiese, die von einem hölzernen Zaun umgeben war. Innerhalb des Zauns lag eine große Feuerstelle, an der die Ata das Ratsfeuer entzündeten, sei es, um die Kinder zu lehren oder wenn Galsinger den Stamm wegen ernsterer Angelegenheiten zusammenrief. Für mich war es der sicherste Ort, den man sich vorstellen konnte, trotzdem zögerte ich.
    Was, wenn Gorman das Dorf bereits beobachtete?
    Doch wenn ich mit Alfanger reden wollte, durfte ich keine Zeit vergeuden.
    In nicht allzu ferner Zeit brach die Nacht herein und in der Dunkelheit wuchs Gormans Überlegenheit.
     
    Es wurde still, als ich durch die Öffnung im Zaun trat. Frauen und Kinder starrten mich an, als wäre ich ein Geist und flüsterten sich Dinge ins Ohr, die ich nicht hören konnte.
    Mir war bewusst, was ich für einen Anblick bot. Meine Hose und meine Schuhe starrten vor Schlamm und waren zerrissen. Mein schmutzverkrustetes Haar hing mir in das zerkratzte Gesicht. Ob jemand die verschorften Schnitte des Elchenbands auf meinem linken Arm bemerkte, wusste ich nicht, und im Moment war es mir auch egal.
    Ein langer Schatten tauchte vor mir auf.
    »Sieh an! Ich hatte schon gehofft, diesmal wärst du für immer abgehauen.«
    Im Mannesalter überragte Weyref selbst Gorman. Er war noch immer dünn, was mich aber zu keinen falschen Schlüssen über seine Kraft veranlasste. Wie oft hatte Gorman mir erzählt, was für ein hervorragender Jäger aus Weyref geworden war.
    »Aus dem Weg«, sagte ich.
    Ich wollte an Weyref vorbei, doch er hielt mich an der Schulter fest. In seinem schmalen Gesicht blitzte es belustigt.
    »Keine Zeit für eine Unterhaltung, Schwarzhaar? Wo bist du die ganze Zeit gewesen?«
    »Im Wald«, erklärte ich verärgert.
    »Ich habe gesehen, wie Gorman dir nachgelaufen ist. Vielleicht sollte ich dem Rat der Alten davon erzählen, was meinst du? Wo ist Gorman überhaupt?«
    »Das weiß ich nicht!«
    Weyrefs Gesichtsausdruck änderte sich.
    »Was ist passiert?«, fragte er mit leicht zusammengekniffenen Augen.
    »Das geht dich nichts an!« Ich schob mich an ihm vorbei.
    »Heute Abend am Ratsfeuer wirst du’s erklären müssen«, rief er mir hinterher.
    Ich drehte mich nicht nach ihm um. Weyref hatte recht, heute Abend würde ich vor meinem Vater und dem gesamten Stamm erzählen müssen, was passiert war, wenn mich einer der Alten dazu aufforderte, so verlangte es das Gesetz der Ata.
    Galsinger machte sich sicher schon große Sorgen um seinen Erstgeborenen. Ich konnte diesmal nicht darauf hoffen, dass mich beim Ratsfeuer niemand beachten würde, so wie sonst.
    Ich hielt zielstrebig auf Alfangers Hütte zu. Der Steg wackelte leicht, als ich ihn betrat.
    Alfanger trat aus der Hütte, so wie vor zwei Tagen, als ich versucht hatte, Ataheim zu verlassen. Sein Anblick war jammervoll. Es versetzte mir einen schmerzhaften Stich. Alfangers Gesicht wirkte hohlwangig und die Haut hing schlaff von seinen Armen hinunter, als hätte er zu lange nicht getrunken. Ich erkannte rot unterlaufene Augen in seiner bleichen Miene und begriff, er hatte mich für tot gehalten. Vor meinem inneren Auge stellte ich mir vor, wie er stundenlang durch die Wälder stolperte, vergeblich meinen Namen rufend, nur um irgendwann zu begreifen, dass er mich verloren hatte, genauso wie seine geliebten Freunde Elfgreth und Elman.
    Seine Kleider waren fast so schmutzig und zerrissen wie meine. Wir sahen einander in die Augen … und ich wusste, es fiel uns beiden schwer, zu glauben, dass ich noch am Leben war.
    Er ging langsam auf mich zu. Dann umarmte er mich so fest, als könnte er nicht begreifen, dass ich tatsächlich mehr war als nur ein flüchtiger Geist.
    »Du bist zurück«, hauchte er. »Ich bin so dankbar. Ich wusste, du bist ein Segen für uns, Ainwa. Heute ist ein Freudentag für alle Ata. Jedes Volk, das einen Wanifen hat, ist gesegnet!«
    Ich presste die Lippen zusammen und schloss die Augen.
    »Nicht jedes Volk.«
    Alfanger schob

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