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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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als sie noch kräftiger aufloderten.
    Ich erkannte die Gestalt meines Ziehvaters schon von Weitem. Der breitschultrige Körperbau, den er auch Gorman vererbt hatte, der lange Bart, bereits von grauen Strähnen durchzogen, und die hellen Augen, die sich sofort auf mich richteten, als ich den Fuß ans Ufer setzte.
    In seiner Miene sah ich Erleichterung, aber auch Sorge.
    Ich nahm meinen gewohnten Platz am Ratsfeuer unmittelbar neben Alfanger ein und fühlte sofort Weyrefs stechenden Blick auf mir. Ich ignorierte ihn, so gut es ging. Andra saß wie immer bei den Jägern. Sie schien nicht einmal Notiz von mir zu nehmen, sondern blickte gelassen in die Runde. Solange ich denken konnte, hatte ich sie nie aufbrausend oder laut erlebt. Gormans Mutter Ehrtrut saß bei einer Gruppe Frauen und sah zu mir herüber. Nach dem Tod meiner Eltern hatte sie sich um mich gekümmert, aber anders als bei Galsinger und Gorman war ich ihr nie besonders ans Herz gewachsen. Ich machte ihr deshalb keinen Vorwurf, denn ich fühlte ihr gegenüber genauso. Es gab keine Abneigung zwischen uns, aber unser Leben verlief eben in getrennten Bahnen.
    Ein älterer Mann erhob sich und trat ans Feuer. Hongar. Erst vor zwei Wochen hatte ich die Schürfwunden an seinem Bein mit Schafgarbe und Gänseblümchen behandelt. Man konnte sie kaum noch erkennen. In vergangener Zeit war er der Einzige, der sich noch von mir behandeln ließ. Leider hatte eine schwere Krankheit ihn gezeichnet und er gehörte nicht länger dem Rat der Alten an.
    Der Rat bestand aus fünf Männern, die fast ebenso viel Macht besaßen wie der Häuptling. Ohne ihre Zustimmung konnte mein Vater keine Entscheidung treffen. Eine Tatsache, die ich schmerzlich zu spüren bekommen hatte. Ich betrachtete die vier hageren Gesichter im Hintergrund feindselig. Der Fünfte von ihnen war Alfanger, normalerweise mein einziger Fürsprecher im Rat.
    »Der Häuptling spricht«, verkündete Hongar laut.
    Er trat zur Seite und machte Platz für meinen Vater.
    Galsinger blickte in die Runde, schien jeden einzelnen Ata mit seinem Blick zu messen.
    »Ainwa«, erklärte er schließlich mit rauer Stimme. »Ata sei gedankt, dass du sicher zurückgekehrt bist.«
    Ich wollte etwas erwidern, als ich seine hoffnungsvolle Miene sah, aber Alfanger brachte mich mit einem warnenden Blick zum Schweigen.
    »Drei Tage lang haben wir Gorman und dich vermisst. Die Jäger haben den Wald durchstreift und euch gesucht. Wo seid ihr gewesen?«
    Ich senkte den Blick. Am liebsten wäre ich im Boden versunken. Lieber hätte ich dem fremden Wanifen noch einmal im Kampf gegenübergestanden, als einen Augenblick länger hier zu sitzen.
    »Ainwa«, meinte Galsinger besorgt. »Wo ist Gorman?«
    Obwohl ich diese Frage erwartet hatte, krampfte ich mich unter seinen Worten zusammen. Ich wollte die Wahrheit sagen und niemandem etwas vorspielen. Stattdessen zwang ich mich, still sitzen zu bleiben, und krallte die Finger in das feuchte Gras.
    »Häuptling«, sagte Alfanger, »Ainwa hat furchtbare Dinge erlebt. Lass mich für sie sprechen. Bevor ihr das Erlebte die Zunge lähmte, hat sie es mir anvertraut.« Es herrschte Stille. Ich fühlte, wie sie mich alle ansahen.
    »Ainwa«, sagte Vater. »Sprich mit mir! Erzähl, was passiert ist!«
    »Gib ihr Zeit, Galsinger, lass mich berichten, was ihr widerfahren ist.«
    Ich konnte nicht sehen, wie Vater reagierte, aber da Alfanger zu sprechen begann, bedeutete es, dass er seine Zustimmung gegeben hatte.
    »Drei Tage ist es her, dass ich Ainwa in den Wald schickte. Weit oben im Gebirge gibt es heilige Plätze, an denen Pflanzen und Pilze stärkere Heilkraft besitzen als sonst. Enzianwurzel gegen Würmer, Wurzel vom Aurikel gegen Keuchhusten und Espenrotkappen zum Trocknen für den Winter sollte sie mir bringen.
    Als Ainwa im Wald verschwand, sah ich, wie Gorman ihr nachschlich. Ich hatte schon öfter beobachtet, wie er das tat, obwohl Ainwa nie davon wusste. Er wollte seine Schwester beschützen.
    Drei Tage lang hörten und sahen wir nichts von ihnen, bis Ainwa heute der Erschöpfung nahe in meine Hütte stolperte. Mit schwerem Herzen werde ich berichten, was sie mir erzählte.
    Als sich Ainwa auf den Rückweg machen wollte, passierte es. Ein vagabundierender Bär, ein riesiges Monstrum auf der Suche nach einem neuen Revier, tauchte aus einem Brombeerdickicht auf. Ausgehungert von seiner langen Wanderung griff er sie an.
    Ainwa schoss einen Pfeil auf ihn ab, aber sie traf nur die Schulter des Bären.

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