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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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träumen …«
    Wieder ertönte Gormans grässlicher Schrei irgendwo im Urwald, diesmal bedeutend näher.
    Alfanger zuckte zusammen.
    »Bitte«, flüsterte er und berührte Rainelfs Hand. »Bitte, beschütze sie!«
    Rainelf entzog sich seiner Berührung und verließ wortlos die Hütte. Alfanger sah mich wehmütig an. Ich wollte etwas sagen, etwas wie »Ich komme zurück« oder »Wir sehen uns wieder«, aber der Augenblick verstrich und ich brachte kein einziges Wort über die Lippen.
    Mondlicht umfing mich, als ich auf den Steg hinaustrat. Es war eine sternenklare Nacht, nur über dem Wasser lagen feine Nebelschleier. Rainelf verlor keine Zeit und rannte los. Ich folgte ihm, so schnell ich konnte.
    Nach kurzer Zeit hatten wir das Ufer erreicht und den Zaun passiert.
    Rainelf machte keine Anstalten, in den Wald zu laufen, sondern hielt sich dicht am Seeufer. Wenn wir in dieser Richtung weiterliefen, würden wir bald auf das große Seemoor stoßen. Etwas sagte mir, dass Rainelf genau dort hinwollte.
    Er lief so schnell, dass ich die größte Mühe hatte, ihm zu folgen. Ich war zwar eine der schnellsten Läuferinnen unter den Ata, aber Rainelf – er schien förmlich über den Boden zu fliegen, obwohl er nicht einmal Schuhe trug.
    Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Meine Muskeln verkrampften sich, aber Rainelf wurde nicht langsamer, ganz im Gegenteil. Manchmal drohte sein wehendes Haar völlig meinem Blick zu entschwinden, und ich musste das Letzte aus mir herausholen, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren.
    Wir liefen durch schulterhohes Ufergras, das an meinem Körper entlangstrich. Der Boden fühlte sich plötzlich weich an, sodass ich bei jedem Schritt mehr Kraft aufwenden musste, um voranzukommen. Nässe drang in das Leder meiner Schuhe.
    Da war er wieder, Gormans dröhnender Ruf, unglaublich nah.
    »Er ist im Dorf«, rief Rainelf mir zu. »Schneller, Ainwa!«
    »Al … fanger«, keuchte ich, obwohl mir das Sprechen die letzte Luft raubte.
    »Das Einzige, was er will, bist du.«
    Ich hörte ein grauenerregendes Zischen. Ein kühler Wind kam auf und kräuselte die Oberfläche des Sees und der kleinen Tümpel, die das Moor durchzogen. Nicht weit hinter mir flog ein Reiher mit einem erschrockenen Krächzen auf.
    Rainelf stieß ein ersticktes Keuchen aus.
    Eine lähmende Angst ergriff von mir Besitz. Etwas hinter mir rauschte durch das Schilf, unglaublich schnell, kam auf uns zu …
    »Komm schon!« Rainelf keuchte. »Ein Holunder …«
    Ich warf einen kurzen Blick über meine Schulter, und als ich wieder nach vorn sah, war Rainelf verschwunden.
    Ich blieb stehen und rang verzweifelt nach Atem. Um mich herum erkannte ich nur Seggen und die fedrigen Bäusche des Wollgrases.
    Das Rauschen hinter mir wurde immer lauter.
    »Rainelf? Rainelf, wo bist du?«
    Das Rauschen verebbte plötzlich. Stille breitete sich über dem Moor aus.
    »Rainelf?«, flüsterte ich zitternd.
    Mein Blick irrte hierhin und dorthin, jeden Moment darauf gefasst, Gormans finsteren Schatten aus dem Dickicht hervorbrechen zu sehen.
    Hatte sich dort hinten etwas bewegt? Die Seggen wogten leicht im Wind und gaukelten mir überall Bewegung vor. Vorsichtig machte ich einen Schritt in die Richtung.
    »Rainelf?«, flüsterte ich. »Bist du das?«
    Plötzlich wurde ich von hinten gepackt und zu Boden gerissen. Etwas zerrte mich unter einen Busch. Ich wollte schreien, aber eine kühle Hand presste sich mir auf den Mund.
    Ich fuhr herum und erwartete, Gormans Kelpiaugen vor mir zu sehen, stattdessen erkannte ich Rainelfs geisterhafte Miene. Seine Gestalt schien zu beben. Zitternd hob er seinen Finger an die Lippen und deutete mit dem Kopf in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
    Ich folgte seinem Blick. Bis auf den einsamen Ruf eines versteckten Moorvogels war nichts zu hören, sogar der Wind hatte sich gelegt. Ich wagte kaum zu atmen, bemerkte, wie auch Rainelf neben mir die Luft anhielt.
    Die Seggen wogten wassergleich auseinander und etwas, das aussah wie schwarzer Nebel, floss lautlos auf die kleine Lichtung, auf der wir uns befanden, ballte sich zusammen und formte eine riesenhafte Gestalt.
    Es dauerte eine Weile, bis ich ihn erkannte, so dunkel und Furcht einflößend wirkte er. Ich hörte etwas … wie ein unterschwelliges Knurren.
    Gorman hatte alles abgelegt, was darauf hindeutete, dass er je ein Ata gewesen war. Nur die Hose aus Wisentleder trug er noch. Kein Hemd, keine Waffen … nicht einmal Schuhe. Über seinen Schultern trug er das

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