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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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zurück.«

Kapitel 5
    Sommer, zwei Jahre vor dem Blutmond
     
     
     
    » E in alter Mann verliert Gewicht. Er sieht schlecht, trinkt und uriniert den ganzen Tag. Hat unstillbaren Hunger.«
    Ainwa blickte zum Seeufer hinüber, wo die Jäger sich gerade bereit machten. Drei Monate waren seit ihrer verhängnisvollen Wisentjagd vergangen. Galsinger hatte Wort gehalten und sie zu Alfanger in die Lehre geschickt.
    Sie beobachtete, wie Gorman seinen Speer aufnahm und Weyref und den anderen Jägern über die abendlichen Wiesen folgte. Nach ein paar Schritten verharrte er und warf ihr einen kurzen Blick zu.
    »Ainwa«, brummte Alfanger, »hörst du mir überhaupt zu?«
    Sie zuckte leicht zusammen. Gorman wandte sich ab und verschwand im Schatten des Waldes.
    Alfanger musterte sie von der Seite.
    »Irgendwann wird er wieder mit dir sprechen.«
    »Warum glaubst du das?«
    Alfanger lächelte ein wenig.
    »Er wird begreifen, dass dein Anderssein kein Verrat an ihm ist.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Das musst du auch nicht. Was du aber verstehen musst, ist die Aufgabe, die ich dir eben gestellt habe.«
    Ainwa seufzte und starrte auf den See hinaus.
    »Trank aus drei Teilen Blutweiderich, einem Teil Silberdistelwurzel, und zerkleinerten Rotfußröhrlingen, dreimal am Tag. Auch wenn er nicht mehr jagt, muss er sich viel bewegen, jeden Tag.«
    Alfanger starrte sie an, als hätte er einen Geist vor sich.
    »Wer hat dich das gelehrt?«
    »Das warst du«, sagte sie und setzte sich auf.
    »Nein. Ich habe dir nur von der Bewegung erzählt. Was für eine Art Trank ist das?«
    »Einer, der hilft!«
    »Wer …?« Alfanger packte sie an ihrem Hemd. »Wer hat dir von diesem Trank erzählt?«
    »Niemand!«, erwiderte sie verstört und befreite sich aus seinem Griff.
    »Du spielst mit dem Leben der Menschen, denen du helfen sollst, wenn du willkürlich Tränke zusammenbraust!«
    »Es ist nicht willkürlich«, entgegnete Ainwa nur mühsam beherrscht. »Es ist dieser Trank und kein anderer!«
    »Wie du willst«, sagte Alfanger. »Der Mann, von dem ich gesprochen habe, ist Hongar. Früher war er ein mächtiger Krieger, aber auch wenn er jeden Tag am Seeufer entlangwandert, wie ich es ihm aufgetragen habe, bleibt ihm nicht mehr als ein Jahr. Du wirst alles für diesen Trank besorgen, Mädchen, und dann wirst du ihn brauen. Erst, wenn du ihn selbst probiert hast, wirst du ihn Hongar bringen.«
    Ainwa schwieg für einen Augenblick.
    »Hongar mag mich nicht. Er kann mich nicht ausstehen.«
    »Und?«
    Sie schwieg.
    »Ein guter Heiler hilft jedem, der seine Hilfe nötig hat.«
    Er lächelte für einen Moment.
    »Und es wird sich herausstellen, ob dieses Gebräu, von dem du so überzeugt bist, sein Leben verlängern kann.«
     
    Die Silberdisteln zu finden war eine Kleinigkeit. Ihre stacheligen Blütenköpfe wuchsen an den trockeneren Stellen der Dorfwiese neben dem Zaun. Ainwa brauchte nur ein paar Minuten, bis sie ausreichend viele gesammelt hatte.
    Der Blutweiderich wuchs in dichten Beständen an einem nahen Bachufer im Schatten des Waldes. Sie konnte seine kräftig gefärbten, rosa Blüten bereits von Weitem erkennen, als sie durch den Wald darauf zustapfte. Die Wurzeln und die jungen Triebe wirkten am besten. Sie ließ die geeigneten Pflanzenteile rasch in ihrem Beutel verschwinden. Der schwierige Teil waren die Rotfußröhrlinge. Pilze waren eigenwillige Geschöpfe. Man konnte ewig nach ihnen suchen, ohne auch nur einen einzigen zu finden, und an einem anderen Tag stolperte man fast über sie, wenn man die Hütte verließ. Verschiedene Arten mochten verschiedene Bäume, verschiedenes Licht, verschiedene Feuchtigkeit. Manchmal fand man sie dort wieder, wo sie im Jahr davor gewachsen waren, manchmal auch nicht. Alfanger hatte sie nur in den Wald geschickt, um sie für ihre Überheblichkeit zu bestrafen, aber sie würde ihm schon noch beweisen, dass sie sich nicht geirrt hatte.
    An diesem Abend war sie allerdings nicht vom Glück verfolgt. Stundenlang suchte sie vergeblich nach den unauffälligen Hüten der Röhrlinge, die für den Trank so unentbehrlich waren. Schließlich musste sie wutschnaubend umkehren, weil die Sonne unterging, und sie es nicht wagte, nachts allein im Wald zu bleiben, mal abgesehen davon, dass sie in der Dunkelheit ohnehin keine Pilze gefunden hätte. Ein Gewitter … und sie würden sprießen.
    Als das Seeufer vor ihr auftauchte, herrschte zwischen den Hütten der Ata hektisches Treiben. Ainwa konnte im Dämmerlicht

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