Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
Vom Netzwerk:
Monster von ihr abgelassen?
    Als einige Augenblicke nichts passierte, atmete sie auf.
    Ihr Blick wurde von einem seltsamen Leuchten angezogen, das von einem Baumstamm auszugehen schien. Sie folgte dem Licht, bis sie erkannte, worum es sich handelte: Ein massiger Baumschwamm, der sich am Stamm einer Buche festgesogen hatte, schimmerte in fremdartigem Glühen.
    Sie strich ungläubig über die glatte Oberfläche des Baumschwamms, als sie bemerkte, wie in ihrer unmittelbaren Nähe ein weiteres Licht aufglomm. Gleichzeitig schien das Leuchten des Baumschwamms vor ihr wieder schwächer zu werden, und verlosch schließlich völlig.
    Verwirrt folgte sie dem Licht des zweiten Baumschwamms, und kaum hatte sie diesen erreicht, erblickte sie auch schon das gelbliche Schimmern eines weiteren, während der Schwamm vor ihr seine fremdartige Helligkeit wieder einbüßte.
    »Bringt mich zu Gorman«, flüsterte sie.
     
    Lange hatte sich Ainwa den Berg hinaufgequält. Irgendwann war sie auf den Lauf des Weyta gestoßen und folgte dem Leuchten der Pilze in eine schmale Schlucht, durch die die Wasser des Weyta tosend hindurchschossen. In der Dunkelheit kletterte sie über glitschige Felsen und watete durch hüfthohes Wasser, ehe sie bereits der Erschöpfung nahe das laute Rauschen eines Wasserfalls vernahm. Die Schlucht öffnete sich zu einem weiten Wasserbecken, in das sich ein mächtiger Wasserfall ergoss. Silberweiden und Erlen bewuchsen die kiesigen Ufer des Beckens. Sie kroch erschöpft ans Ufer und blickte sich um.
    Außer dem tosenden Wasserfall konnte man in der Finsternis nicht viel erkennen, aber es sah aus, als wäre sie in eine Sackgasse geraten. Sie sah kein Leuchten mehr, das ihr den Weg hätte zeigen können.
    »Gorman«, rief sie. »Gorman, bist du hier?«
    Nichts. Nur der Ruf eines verärgerten Käuzchens, das Ainwa als Eindringling in seinem Revier betrachtete.
    Sie seufzte und ließ den Kopf auf die Brust sinken. Langsam kehrte pochendes Leben in ihre vor Kälte taub gewordenen Zehen zurück.
    Wie eine Närrin war sie trügerischen Lichtern gefolgt, aber wahrscheinlich musste auch sie das Unausweichliche akzeptieren: Gorman war tot.
    Wie sollte sie nur jemals wieder nach Hause zurückkehren? Wie konnte sie jemals wieder froh werden, wenn der Mensch, der ihr von allen am meisten bedeutete, tot war?
    Jetzt gelang es ihr nicht mehr, die Tränen zurückzuhalten. Wenigstens war niemand hier, der sie so sah, wie sie wie ein Häufchen Elend am Rand des Wasserfalls hockte und heulte. Sie war ganz allein …
    Ainwa hörte ein Stöhnen von der anderen Seite des Beckens, so matt, als wäre es bloß ihrer Vorstellung entsprungen.
    Sie hob den Kopf.
    Das Stöhnen wurde ein wenig lauter, schmerzerfüllter. Sie sprang auf und umrundete das Becken in Windeseile.
    Eine dunkle Gestalt lag im Uferdickicht, die sich schwach hin und her wand. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals vor Aufregung. Konnte es sein …?
    Sie kniete sich neben die Gestalt und drehte sie vorsichtig auf den Rücken.
    Der Anblick lähmte sie, so furchtbar war er. Gorman zitterte am ganzen Körper. Überall auf seinem Gewand und auf den Ufersteinen klebte Blut. Panisch versuchte sie, die Verletzung zu finden, die Gorman so viel Blut gekostet hatte.
    Als sie mit der Hand sein rechtes Bein entlangtastete, spürte sie plötzlich etwas Spitzes, und zuckte erschrocken zurück.
    Knochen. Sie hatte gerade den abgesplitterten Rand von Gormans Knochen berührt.
    »Gorman«, flüsterte sie. »Ich bin hier.«
    Gormans Gesicht hatte jede Farbe verloren, aber er war wach. Seine glänzenden Augen suchten ihren Blick und seine Hand berührte ihren Arm.
    »Meine Kleine …«, hauchte er. »Meine Kleine. Hilf mir. Hilf mir sterben.«
     
    Ich fand meinen Weg zurück zur Weytaklamm mit traumwandlerischer Sicherheit, obwohl ich seit Gormans Unfall nie wieder dorthin zurückgekehrt war. Wenn beim Weytafall die Heimat der Urukus lag, dann würde ich sie finden.
    Erst jetzt, während ich die Klamm bei Tag durchquerte, erkannte ich, wie schön sie wirklich war. Das grünliche Wasser des Weyta schimmerte geheimnisvoll, wo einzelne Sonnenstrahlen zwischen den Felswänden auf die Wasseroberfläche trafen, und es roch nach frischem Wasser und Moos.
    Ich durfte mich von der Schönheit der Klamm nicht allzu sehr ablenken lassen, denn beim Weg über die glitschigen Felsen und durch das eiskalte Wasser konnte man sich sehr leicht verletzen.
    Der Weg erschien mir länger als in meiner Erinnerung,

Weitere Kostenlose Bücher