Die Wanifen
aber schließlich vernahm ich das Tosen des Wasserfalls und bald darauf öffnete sich die Klamm zu dem Kessel, in dem ich Gorman damals gefunden hatte.
Ein paar rot gepunktete Bachforellen schossen erschrocken ins tiefere Wasser, als ich ans Ufer watete.
Ich blickte mich verzückt um. Dieser Ort hatte etwas Bezauberndes. Es fühlte sich ähnlich an wie an dem Kraftplatz, an dem ich Rainelf getroffen hatte. Selbst der Wasserfall mit seiner tosenden Kraft verströmte etwas Sanftes.
Erschöpft ließ ich mich auf den Uferkies sinken, um mich ein wenig von dem beschwerlichen Weg zu erholen.
Ich beobachtete eine Wasseramsel, die ins klare Wasser hinabtauchte, um kleine Wasserkrebse zu erhaschen, die sie zu ihrem Nest zwischen den Wurzeln einer Silberweide trug.
Nach einer Weile richtete ich mich auf. Ich war hierhergekommen, um die Urukus um Rat zu fragen, und ich würde sie nicht finden, indem ich hier herumlag.
Ich war nicht ganz sicher, ob das wirklich der Ort war, den die seltsame Stimme beschrieben hatte. Vielleicht hatte ich mir die Stimme auch nur eingebildet, weil ich mir insgeheim so sehr wünschte, die freundlichen Berggeister würden wirklich existieren.
Nein, Schluss damit! Wenn ich so anfing, dann konnte ich dieses ganze Unterfangen gleich sein lassen.
Konzentrier dich jetzt!
Brenne, brenne Erlenholz – blühe weißes Knabenkraut – wachse Pilz, Gewächs der Nacht – teile, teile Wasserfall – bring mich ins Wanifenhaus. Ich nahm mal an, man musste all diese Dinge an ein und demselben Ort vorfinden, damit man die Urukus zu Gesicht bekam. Den Wasserfall hatte ich also schon mal.
Erlenholz … Auf der anderen Seite des Beckens, dort wo ich Gorman damals gefunden hatte, wuchsen einige Erlen, die sich auf dem feuchten Boden offenbar sehr wohlfühlten.
Knabenkraut … Bis jetzt hatte ich noch keine Spur der wilden Orchideen gefunden, schon gar nicht die einer weißen. Die Knabenkräuter, die ich kannte, blühten meist blassviolett, manchmal auch weiß mit dunkleren Punkten. Reinweiße Exemplare fand man nur ganz selten.
Pilze … die konnte man überall und nirgends finden. Ich musste mich wohl genauer umsehen, aber zuerst würde ich ein Feuer machen, ein Feuer aus Erlenholz, so wie es mir der Uruku in dem Spruch aufgetragen hatte. Na ja, das war zumindest meine Auslegung von – Brenne, brenne Erlenholz.
Das Erlenholz zusammenzutragen, dauerte nicht lange, schwieriger war es, daraus ein Feuer zu entfachen, denn das Holz war ziemlich feucht. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass ich meine Feuersteine und meinen Zunderbeutel bei mir getragen hatte, als Rainelf mit mir geflohen war, sonst wäre das Unternehmen wohl aussichtslos geblieben.
Es dauerte bis spät in den Nachmittag, bis mein Erlenfeuer so kräftig brannte, dass ich mich auf die Suche nach dem Knabenkraut und den Pilzen begeben konnte, ohne riskieren zu müssen, dass es verlosch.
Ich suchte lange, obwohl der Talkessel sehr klein war. Von Pilzen fand ich nicht die geringste Spur, nicht einmal von einem Baumschwamm, der normalerweise fast überall wuchs. Was das Knabenkraut anging, hatte ich mehr Glück. Ich fand es in der Nähe des Ufers, aber da es nicht mehr blühte, wusste ich nicht, welche Farbe es hatte.
Stöhnend ließ ich mich auf einen umgestürzten Baumstamm sinken. Was tat ich überhaupt? Hier lebte doch weit und breit niemand, der mir beibringen konnte, meine Fähigkeiten zu nutzen.
Vielleicht gab es ja noch andere Möglichkeiten. Rainelf musste schließlich von irgendjemandem gelernt haben, was er wusste. Vielleicht lebte noch ein alter Wanife bei den Abira, der sein Wissen mit mir teilen würde …
Aber es musste einen triftigen Grund geben, warum Rainelf sein Volk verlassen hatte. Ich war mir sicher, er hätte es mir gesagt, wenn es bei den Abira einen Lehrmeister für mich gegeben hätte.
Ich ergriff meinen Stab und bohrte ihn gedankenversunken in die Erde. Selbst, wenn ich all diese Dinge fand, was sollte ich dann mit ihnen machen? Oder hatte der Spruch sogar eine ganz andere Bedeutung?
»Brenne, brenne Erlenholz«, murmelte ich.
»Blühe weißes Knabenkraut.«
Ich nahm eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahr, und hielt überrascht inne. Verwirrt wandte ich mich um und traute meinen Augen kaum. Wo gerade eben nur grünes Blattwerk gewesen war, öffneten sich jetzt weiße Blüten, die wie filigrane Schmetterlinge aussahen.
Ich sprang auf und wich einen Schritt zurück.
»Geisterwerk!«
Es dauerte,
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