Die Wanifen
schließlich. »Wie ist dein Name, Wanife?«
»Ainwa«, erwiderte ich. »Ich heiße Ainwa.«
Der Uruku hob seine Hand und klappte die Knochenmaske zurück.
»Ich grüße dich, Wanife der Ata. Mein Name ist Kauket.«
Ich keuchte und wich einen Schritt zurück.
»Du bist …«
»Ja, Ainwa. Ich bin ein Mensch, so wie du.«
Ich starrte den Fremden an. Ein Mann, der dreißig oder mehr Sommer gesehen haben mochte. Ein Mann, der für meine Augen, die nur die hellhäutigen Menschen des Seenlands kannten, ungewohnt aussah mit seiner goldbraunen Haut, den schwarzen Augen und dem gelockten Haar. Aber dennoch … menschlich.
»Wer bist du?«
»Ich bin, was du einen Uruku nennst.«
»Du lügst. Die Urukus sind die Schutzgeister der Ata.«
Kauket betrachtete mich mit emotionsloser Miene, geradeso, als trüge er noch immer eine starre Knochenmaske.
»Die Zeit reicht nicht, um das hier zu klären. Du kannst mit mir kommen oder ich überlasse dich dem Kelpimenschen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er dich aufspürt, selbst an diesem Ort.«
»Wohin soll ich dich begleiten?«
»Ins Wanifenhaus.«
»Aber wie kann ich sicher sein, dass du mir die Wahrheit sagst?«
Kauket verzog kaum merklich die Mundwinkel. Ich war nicht ganz sicher, aber auf mich wirkte es wie ein kleines Lächeln.
»Das kannst du nicht, aber vielleicht hilft dir das.«
Ein goldbraunes Handgelenk blitzte im Licht der Fackel auf, als Kauket die dunklen Felle hochkrempelte.
Ich erkannte ein filigranes, schwarzes Zeichen auf seiner Haut, das mich vage an eine Katze erinnerte.
»Ein Freund hat mir geraten, keinem fremden Wanifen zu trauen.«
»Dein Freund hat recht«, sagte Kauket ernst. »Aber nicht alle von uns sehnen sich nach dem, was du besitzt. Die Klugen würden die Finger davon lassen.«
Das Heulen von Wölfen erschallte von außerhalb des Talkessels und übertönte für einen Augenblick sogar das Rauschen des Wasserfalls.
»Es ist Zeit zu gehen«, erklärte Kauket nervös und wandte sich von mir ab. »Kommst du?«
Ich zögerte nicht lange. Ich wusste zwar nicht, ob Kauket tatsächlich der gewesen war, der mich in der Nacht des Blutmonds vor Gorman beschützt hatte, aber abgesehen von Rainelf kannte ich sonst keinen Wanifen, von dem ich lernen konnte.
Ich folgte Kauket. Am Wasserfall fand ich einen schmalen Spalt im Felsen vor, gerade breit genug, um einen Menschen hindurchzulassen. Also doch!
Hinter dem Wasserfall befand sich eine Höhle. Gleich, nachdem wir sie betreten hatten, wälzte Kauket einen Fels vor die Öffnung, durch die wir gekommen waren, was erklärte, warum ich den Spalt nicht schon früher entdeckt hatte.
Ich blickte mich vorsichtig um. Noch nie zuvor hatte ich eine eindrucksvollere Höhle gesehen. Überall hingen riesige, spitz zulaufende Steingebilde von der Decke. Das Gurgeln und Plätschern von Wasser hallte von den Wänden.
Dort, wo das Licht von Kaukets Fackel hinfiel, erkannte ich glasklare Quellen, in denen gespenstisch aussehende Grottenolme schwammen.
Von diesen Wesen hatte ich bisher nur in Alfangers Erzählungen gehört. Sie lebten in völliger Dunkelheit, hatten aalähnliche Körper, aber nur sehr dünne Beinchen. Ihre Körper hatten die Farbe von Menschenhaut und auf ihren länglichen Köpfen konnte ich keine Augen erkennen. Nach einem alten Atamärchen waren Grottenolme die Jungen des furchtbaren Tatzelwurms, aber das fiel mir schwer zu glauben, wenn ich sie so friedlich durch das Wasser paddeln sah.
»Lebst du hier?«, fragte ich Kauket, als wir die Höhle durchquerten.
Kauket antwortete nicht und setzte seinen Weg schweigend fort.
Meine Finger wurden klamm und im Feuerschein bildete mein Atem dichte Wölkchen.
»Wieso ist es so kalt?«, murmelte ich und rieb mir die Hände. »Mitten im Sommer.«
Kauket wandte sich halb nach mir um.
»Kein Sommer ist jemals bis hierher vorgedrungen.« Er hob die Fackel höher.
In einiger Entfernung wurde der Fels von spiegelndem, bläulichem Gestein überzogen, das imposante Säulen und Grate bildete.
Als wir vorbeigingen, berührte ich eine der wuchtigen Säulen mit der Hand und zuckte zurück.
»Eis. Das ist Eis.«
»Man sollte meinen, eine Ata hätte in den rauen Wintern des Seenlands schon genügend Eis zu Gesicht bekommen.«
»Ich weiß, wie Eis aussieht.« Ich hasste es mehr als alles andere, wenn man mich wie eine Idiotin behandelte.
»Wie kommt es hierher? Die Gletscher liegen viel höher.«
»Es ist das Geheimnis dieser Höhle. Niemand weiß
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