Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
Vom Netzwerk:
nein. Von manchen Geistern gibt es nur ein einziges Exemplar, andere sind selten, viele sind häufig. Die meisten leben nur in bestimmten Gebieten. Wenn du das Seenland verlässt, wirst du auch andere Geister vorfinden.«
    Er musterte mich abschätzend. »Vor einem Geist musst du dich besonders in Acht nehmen, Ainwa. Er lebt im Seenland und ist der Einzige seiner Art. Diesem Geist darfst du nie zu nahe kommen. Er ist eine Naturgewalt und hat, am Rande bemerkt, eine große Abneigung gegen alles Menschliche. Wenn du seinen Zorn erregst, wird dir das Weglaufen nichts mehr nützen.«
    Mir entging nicht, dass er keine Anstalten machte, das Zeichen dieses Geistes in den Sand zu malen.
    »Was für ein Geist ist das?«
    »Er gab deinem Volk seinen Namen.«
    »Du … du redest von Ata?«
    Die zahllosen Lieder über den großen Ata schossen mir wieder durch den Kopf. Lieder, die den Zorn dieses unbarmherzigen Geists besänftigen sollten und ihn um Gnade für unser Volk baten.
    »Es gibt ihn wirklich?«
    Kauket nickte.
    »Wie sieht sein Zeichen aus?«, fragte ich.
    Er winkte ab. »Ata ist niemals der Seelengeist eines Wanifen. Sein Stolz ist zu groß, um sich einem Menschen anzuvertrauen, seine Macht zu gewaltig. Jeder Wanife weiß, dass man nicht in seine Nähe kommen darf.«
    »Gut.«
    »Dieser hier ist interessant«, sagte Kauket und malte ein Zeichen in den Sand, das mich an ein schlankes Raubtier, einen Marder oder Iltis, erinnerte.
    »Das Hermelinenwór. Es ist so schnell, dass man seinen Bewegungen kaum folgen kann. Wanifen mit einem Hermelinenwór sind hervorragende Wandler. Oder die …«
    Kauket hatte das Zeichen des Hermelinenwórs schon wieder verwischt und ein neues in den Sand gemalt.
    »Quellwichte. Normalerweise sind sie harmlos, aber junge Mädchen wie du sollten sich vor ihnen in Acht nehmen. Sie sind fähige Formwandler und manchmal macht der Mond sie liebestoll.«
    Ich kniff die Augen zusammen. Glaubte Kauket denn, ich würde all diese Zeichen behalten, wenn ich sie immer nur ein paar Augenblicke ansehen durfte?
    Er musterte mich und schnaubte kurz, als er merkte, wie meine Konzentration nachließ. »Eines noch, dann lassen wir es für heute gut sein.«
    Er malte ein neues Zeichen in den Sand. Eines, das mir sehr vertraut war.
    »Diese Kerle hier sind ein ziemlich häufiger Anblick im Seenland. Perchte n . Normalerweise leben sie in Rudeln. Die meisten von ihnen sind weiblich, nur selten begegnet man auch einem männlichen, so wie der, den du gesehen hast. Es sind Geister des Winters. Sie bewahren alles, was wächst, während der kalten Jahreszeit.«
    Ich erbleichte und zog mich unwillkürlich etwas weiter zurück. »Jagt er mich deshalb? Weil sein Zeichen auf meinem Arm ist?«
    »Der Geist hat dich nicht gejagt, Ainwa«, meinte Kauket kopfschüttelnd. »Er hat dich gesucht.«
    Ich starrte ihn verständnislos an. »Warum?«
    »Weil du seine Herrin bist«, erklärte er ernst.
    Ich lachte auf.
    »Kauket, dieses Ding hat versucht, mich umzubringen.«
    Er seufzte, hob einen Stein auf und warf ihn weit hinaus in den See. Ich beobachtete, wie er mit einem lauten Platschen die Oberfläche durchschlug.
    »Dieser Percht war der Seelengeist des Streuners und damit seinem Willen unterworfen. Du weißt das nicht, aber wenn ein Wanife einen anderen im Kampf besiegt, geht sein Seelengeist auf den Sieger über. Indem du ihn getötet hast, hast du seinen Seelengeist errungen. Der Percht gehorcht jetzt dir.«
    Ich stand auf. »Er hat mich durch das halbe Tal gejagt … Ich habe seinen Herrn getötet. Ich bin mir sicher, er hasst mich.«
    »Was dieser Geist fühlt oder nicht, kann ich nicht sagen. Für die meisten Geister ist ihr Wanife wie ihr eigenes Kind. Es ist nicht leicht für sie, so einen Verlust zu überwinden … aber das Band, das sie geschlossen haben, besteht fort – und er muss deinem Willen gehorchen.«
    Von mir aus konnte Kauket sagen, was er wollte. Ich empfand es als sehr beunruhigend, mit dem Seelengeist meines Feindes verbunden zu sein.
    »Heißt das«, fragte ich vorsichtig. »Heißt das, ich habe jetzt zwei Seelengeister?«
    »Nein«, erwiderte er energisch. »Und es ist sehr, sehr wichtig, dass du das begreifst. Ein Wanife hat immer nur einen Seelengeist. Nur mit deinem Seelengeist bist du auf diese besondere Weise verbunden, die euch eins werden lässt. Den Seelengeist eines anderen wirst du nie auf die gleiche Weise beherrschen, auch wenn du einige seiner Fähigkeiten für dich nutzen

Weitere Kostenlose Bücher