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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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kannst.«
    »Aber ich kann es nicht«, platzte ich hinaus. »Die Fähigkeiten für mich nutzen, meine ich. Ich weiß nicht, wie!«
    »Deshalb wirst du ihn heute treffen.«
    Ich musste so erschrocken ausgesehen haben, Kauket konnte sich sein Halblächeln nicht verkneifen.
    »Du wirst es wahrscheinlich ohne größere Verletzungen überstehen«, erklärte er in einem Ton, als ginge es um etwas so Banales, wie ein Lagerfeuer anzuzünden.
    Mir war alles andere als zum Lachen zumute.
    »Kann ich nicht lieber meinen Seelengeist treffen?«
    »Glaub mir«, meinte Kauket und wandte sich ab. »Das wäre wesentlich komplizierter.« Sorgenfalten legten sich auf seine Stirn. »Und gefährlicher …«
     
    Ich fühlte eine leichte Übelkeit aufsteigen, als wir den gewohnten Weg entlang des Seeufers, vorbei an den Grabmalen der Urukus, nahmen. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie Kauket den Percht anlocken wollte, aber ich war überzeugt, er wusste ganz genau, wie man das machte. Unbewusst hielt ich bereits nach Holunderstauden Ausschau, unter denen ich mich verkriechen konnte, wenn der Percht wieder die Lust verspüren sollte, mich in Stücke zu reißen. Dass ich keine erblickte, trug nicht gerade zum Heben meiner Laune bei. »Weißt du, ich fühle mich einfach nicht wohl dabei, den Geist des Kerls zu benutzen, den ich getötet habe.«
    »Du wirst es schon ertragen.« Es war bereits mein fünfter Versuch, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, und er war genauso erfolglos verlaufen wie die letzten vier.
    »Es ist notwendig«, sagte Kauket, dem meine grünliche Gesichtsfarbe wohl nicht entgangen war. »Du wirst keine Fortschritte machen, solange du nicht wenigstens die Fähigkeiten eines Geistes nutzt.«
    Ich trat wütend gegen einen Schachtelhalm, der sich zur Seite bog und schaukelnd wieder aufrichtete. Ja, genau … und warum durfte ich dann nicht den Geist treffen, der laut Kauket so viel stärker mit mir verbunden war? Warum sprachen wir nicht endlich über meinen Seelengeist? Und warum das Zeichen so tot ausgesehen hatte …
    Wieder breitete sich ein flaues Gefühl in meiner Magengegend aus. Konnte es sein, dass ich selbst dafür verantwortlich war, dass mein Seelengeist nicht zu mir kam?
    Kauket bog die Zweige der großen Adlerfarne zur Seite, die am Rand der Lichtung wuchsen. Ich folgte ihm rasch, um nicht von den regennassen Blättern gestreift zu werden. Er lief in die Mitte des Kraftplatzes und wandte sich zu mir um.
    »Wandeln«, erklärte er. »Beschreibt die Fähigkeit eines Wanifen, zwischen den beiden Welten zu wechseln. Es umfasst sowohl das Wahrnehmen der Präsenz von Geistern als auch das tatsächliche Übertreten in die Geisterwelt.«
    »Heißt das, jeder Wanife kann die Geisterwelt betreten?«
    »Natürlich«, sagte er, als hätte ich eine sehr dumme Frage gestellt. »Aber auch hier gibt es Regeln, nach denen wir uns richten müssen. Es kann sehr gefährlich sein. Schon so mancher Wanife ist von einem Ausflug in die Geisterwelt nicht wieder zurückgekehrt.«
    »Kann man … Kann man in der Geisterwelt sterben?«, fragte ich unsicher.
    Seine Augenbrauen zogen sich leicht zusammen.
    »Einige Regeln mögen dort anders aussehen – aber ja.«
    Wäre auch zu schön gewesen.
    »Wie sieht es dort aus?«
    »Sag du es mir«, meinte Kauket.
    »Keine Ahnung«, antwortete ich verdutzt.
    »Streng deinen Kopf an.« Kauket klopfte mir mit seinem Stab auf den Schädel. »Immerhin warst du selbst dort.«
    Ah … Ah! Endlich dämmerte es mir. Nephtys hatte es mir sogar erklärt, aber ich hatte sie nicht ernst genommen. Ich war tatsächlich in der Geisterwelt gewesen. Kauket hatte mich dorthin geschickt, weil er genau gewusst hatte, dass es dort kein Urukudorf geben würde. Deshalb war ich dem Percht begegnet. Deshalb hatte ich nicht die kleinste Spur menschlicher Besiedlung gefunden – an diesem Ort existierte sie nicht.
    »Ich habe dort auch Tiere gesehen, eine Elchkuh mit ihrem Kalb. Wie sind die in die Geisterwelt geraten?«
    Kauket warf mir einen anerkennenden Blick zu.
    »Für Tiere existiert die Aufteilung in zwei Welten nicht. Mit ihren feinen Sinnen nehmen sie beide gleichermaßen wahr.«
    »Es war nicht gerade nett, mich dort allein hinzuschicken.«
    »Du hast recht und ich sagte bereits: Es tut mir leid. Es war … unbesonnen. Ich war allerdings die ganze Zeit in deiner Nähe, falls etwas wirklich Gefährliches passiert wäre.«
    Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen. Das Wort unbesonnen war wohl das Letzte,

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