Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
Vom Netzwerk:
ein lange entbehrtes Gefühl in sich aufsteigen. Freude. Es war Gorman nicht egal, was mit ihr passierte. Er machte sich sogar Sorgen um sie.
    »Ich kann’s versuchen«, murmelte sie heiser.
    Lächelte Gorman gerade? Ainwa konnte es nicht erkennen, aber sie hatte so eine Ahnung.
    »Es wird dauern, bis ich dich das nächste Mal treffen kann, aber wenn’s so weit ist, werd ich dir ein mächtiges Geschenk machen, Ainwa, eines, das dich beschützen wird.«
    Er verschwand beinahe lautlos zwischen den Bäumen.
    Ainwa wartete eine Weile und genoss das euphorische Gefühl, das sich ausbreitete. Langsam machte sie sich auf den Weg zurück ins Dorf, schließlich war es gefährlich, nachts allein durch den Winterwald zu streifen.
     
    Nach meinem Zusammentreffen mit dem Percht wurde alles plötzlich einfach – oder zumindest einfacher. Kauket erklärte mir ungewohnt diplomatisch, dass Wanifen mit einem Percht kaum jemals ein besonderes Talent in einer der vier Disziplinen entwickelten, und da der Percht auch nicht mein Seelengeist war, würde ich nicht einmal alle seine Fähigkeiten für mich nutzen können. Trotzdem bemerkte ich, wie ich endlich begann, Fortschritte zu machen. Ich lernte, bis zu knöchelhohe Pflanzen außerhalb des Kraftplatzes wachsen zu lassen, und ab und zu schien von manchen Kräutern, die er vor mir ausbreitete, eine seltsame Anziehung auszugehen, sodass ich auch beim Heilen meine ersten Erfolge feierte.
    Kauket begann, mich auch im Wandeln auszubilden. Er nahm mich auf kurze Ausflüge in die Geisterwelt mit, damit ich mich an die Gegenwart des Perchts gewöhnen konnte. Er hatte die Angewohnheit, kurz nach meiner Ankunft in der Geisterwelt in seiner nicht gerade dezenten Art brüllend aus dem Dickicht hervorzubrechen und mich damit jedes Mal zu Tode zu erschrecken. Doch als ich ihn eines Tages darum bat, das zu lassen, verhielt er sich fortan so leise, dass ich ihn nur zu Gesicht bekam, wenn ich ihn zu mir rief.
    Kauket versuchte inzwischen, meine Sinne für die Geisterwelt zu schärfen – vielleicht die Übungen, die meine Geduld am meisten strapazierten. Es beinhaltete stundenlanges, ödes Herumsitzen mit geschlossenen Augen, ohne dass irgendetwas passierte. Ein paar Mal glaubte ich, leise Geräusche zu hören, von denen ich vermutete, dass sie von Kaukets Seelengeist stammten, aber ich bekam ihn nie zu Gesicht. Einmal, als Kauket gerade nicht in der Nähe war, unterbrach ich die Übung und öffnete die Augen. Zum ersten Mal seit langer Zeit betrachtete ich mein Spiegelbild im Wasser des Sees. Mein Gesicht wirkte weniger blass, als ich es in Erinnerung hatte. Meine Wangen leuchteten rot und meine Gesichtszüge wirkten weicher und freundlicher als zuletzt. Sogar mein widerspenstiges Haar schmiegte sich beinahe sanft an mein Gesicht und fiel mir in lockeren Wellen über die Schultern, was vermutlich Nephtys zu verdanken war, die es jeden Abend mit großer Hingabe mit einem gezackten Werkzeug aus Wisenthorn auskämmte. Ich lächelte meinem Spiegelbild entgegen. Mir gefiel das Mädchen, das ich sah.
    »Manche Wanifen«, berichtete Kauket mir einmal, »beherrschen die Geisterwelt besser als die unsere. Sie bewegen sich dort fast so schnell und geschickt wie ihre Geister.«
    Der Gedanke hatte etwas Reizvolles und ich sah mich schon mit der Kraft und Schnelligkeit des Perchts durch den Wald jagen. Ein weiterer Traum, der wohl noch lange außer Reichweite bleiben würde, denn Kauket und ich entfernten uns in der Geisterwelt nie weiter als ein paar Schritte von unserem Kraftplatz. Er befürchtete, fremde Geister könnten meine Unbeholfenheit in ihrer Welt ausnutzen, um ihren Schabernack mit mir zu treiben.
    Auch wenn mein Wissen über diese Welt eher bescheiden war, hielt ich seine Vorsicht für übertrieben, schließlich blieb er immer in meiner Nähe, ganz zu schweigen von dem Percht, der allein schon ziemlich furchterregend wirkte. Ich vermutete, Kaukets Vorsicht galt in Wirklichkeit Gorman. Als hätte er Angst, er würde mich finden, wenn ich mich zu lange in der Geisterwelt aufhielt.
    Meine Lektionen im Wandeln waren nicht nur auf die Welt der Geister beschränkt. Jeden Tag malte Kauket die Zeichen neuer Geister in den Ufersand und erzählte mir von ihnen, was er wusste. Er zeigte mir auch, wie man durch starkes Konzentrieren lernen konnte, die Gegenwart der Geister auch außerhalb der Geisterwelt zu spüren. Nachdem ich es ein paarmal vergeblich versucht hatte, bildete ich mir ein, einen Hauch von

Weitere Kostenlose Bücher