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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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Moschusgeruch wahrzunehmen und hörte das leise Knacken eines Zweiges im Gebüsch.
    So wie mir nach meiner Ankunft jeder Tag im Wanifenhaus wie ein ganzes Leben vorgekommen war, so schnell flogen die Tage jetzt dahin. Der Sommer ging allmählich in den Herbst über und der Wald im Tal verwandelte sich in ein buntes Mosaik, in dem aus dem unveränderlichen Grün der Fichten vereinzelt das leuchtende Gelb der Lärchen und Buchen hervorleuchtete. Kauket war recht zufrieden mit meinen Fortschritten, auch wenn er nicht müde wurde zu behaupten, ich würde nur das Nötigste und nicht das Notwendige leisten. Das Thema Gorman schnitt er vorerst nicht mehr an.
    Das Einzige, was mich in dieser Zeit beunruhigte, waren meine Träume. Während sich mein Seelengeist immer noch nicht zeigte, tauchte das ängstliche Gesicht des rothaarigen Mädchens mit ungewöhnlicher Regelmäßigkeit darin auf.
    Ich sah sie tanzen, wenn der Wind die bunten Blätter von den Bäumen fegte. Ich beobachtete, wie sie reife Holunderbeeren und Hagebutten für ihre Tränke sammelte, und wie sie nachts vor ihrer Hütte saß und den Sternenhimmel betrachtete.
    Es wären vielleicht schöne Träume gewesen, wenn da nicht dieses dunkle Verlangen nach ihr gewesen wäre, das mich jedes Mal schweißgebadet aufschrecken ließ.
    Ich behielt die Träume weiterhin für mich. Selbst wenn ich gewollt hätte, es wäre mir unmöglich gewesen, mit Kauket und Nephtys über diese Art von Gefühlen zu sprechen, vor denen ich mich zu sehr fürchtete, um sie zu benennen.
    Einmal, als ich wieder von einem dieser Träume erwachte, stellte ich fest, dass Kauket auf Nephtys’ Lager saß, während sie leise miteinander sprachen.
    »Findest du es nicht großartig, was sie plötzlich für Fortschritte macht?«, flüsterte Nephtys.
    »Ja«, murmelte Kauket gedankenversunken. »Sie stellt sich ganz gut an.«
    »Du solltest sie nicht ständig an dir messen«, meinte Nephtys missbilligend. »Du warst so verbissen in ihrem Alter. Manchmal bist du es noch. Ihr Selbstvertrauen leidet unter deinen hohen Erwartungen. Du siehst nicht, wie sehr sie sich anstrengt.«
    »Darum geht es nicht«, zischte er. »Du weißt so gut wie ich, sie sollte nicht nur ganz gut sein.«
    »Es ist sicherer so«, widersprach Nephtys, »oder möchtest du, dass Ainwa so endet wie Geralt?«
    Was immer das gerade bedeutet hatte, es brachte Kauket für einen Augenblick zum Schweigen.
    »Unter normalen Umständen«, flüsterte er schließlich, »würde ich dir zustimmen, aber ich glaube nicht, dass die halbe Kraft eines Perchts ausreicht, um Ainwa zu beschützen. Seine Macht könnte es.«
    »Aber sie könnte sie auch töten.«
    Kauket seufzte. »Im Moment ist diese Diskussion überflüssig. Ich habe seine Gegenwart kein einziges Mal in Ainwas Nähe gespürt. Es fühlt sich an, als hätte er sie aufgegeben, auch wenn so etwas eigentlich unmöglich ist.«
    »Dann sollten wir nicht versuchen, das zu ändern«, erwiderte sie. »In den vergangenen Wochen hat Ainwa ihr Lachen wiedergewonnen. Ich möchte, dass es so bleibt. Ich will, dass sie glücklich ist.«
    »Sie ist nicht deine Tochter, Nephtys«, sagte er.
    »Aber sie ist am nächsten dran, näher wird nie jemand sein«, flüsterte sie mit zitternder Stimme. »Und du musst dich mir gegenüber nicht verstellen … nicht … mir gegenüber, Kauket. Auch, wenn du’s nicht wahrhaben willst, ich weiß, wie glücklich es dich macht, dass sie hier ist. Es fühlt sich an, als wären wir wieder eine Familie …«
    Kauket antwortete ihr nicht. Ich hörte, wie er sich von ihrem Lager erhob und mit schweren Schritten zu seinem hinüberging.
    Ich lag noch lange wach und musste über das nachdenken, was die beiden gesagt hatten. Familie … Wenn ich wollte, konnte ich hierbleiben. Wenn ich wollte, musste ich nie wieder die Hexe sein, die Geisterseherin, die Ausgestoßene, sondern einfach nur Ainwa.
     

 
    Bei unserem nächsten Ausflug in die Geisterwelt entfernten wir uns wieder kaum vom Kraftplatz. Außer den leisen Geräuschen, die der Percht verursachte, während er uns folgte, war alles ruhig. Ich fand es frustrierend, mich ständig nur am Rand dieser aufregenden, neuen Welt bewegen zu dürfen, während ich so darauf brannte, endlich die geheimnisvollen Wesen mit eigenen Augen zu sehen, deren Zeichen Kauket für mich in den Sand gemalt hatte.
    »Weißt du«, meinte ich nach einer Weile. »Ich werde nie etwas lernen, wenn du mir nicht mehr zutraust. Das Wandeln wäre für

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