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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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dir vor, es wäre ein Bär, der dich gerade angreift.«
    Gorman spannte die Sehne mit konzentriertem Blick und hob den Bogen. Mit einem hellen Sirren schoss der Pfeil nach vorn, so schnell, dass Ainwa ihm mit den Augen nicht folgen konnte, und traf irgendwo mit einem dumpfen Geräusch auf. Er wandte sich ihr zu.
    »Dieser Bär könnte dir nicht mehr gefährlich werden«, sagte er und zog sie mit einem kräftigen Ruck in die Höhe. »Ich werde dir beibringen, wie man mit dieser Waffe umgeht. Ich möchte, dass du ihn ab jetzt immer bei dir trägst, immer, verstehst du?«
    Ainwa nickte, noch immer beeindruckt von Gormans Demonstration.
    »Und wenn du in Gefahr bist, wenn dich etwas angreift, egal, was es ist, Ainwa, möchte ich, dass du schießt, kein Zögern, keine Gnade, verstehst du?«
    »Wo willst du mir das Bogenschießen denn beibringen? Im Dorf?«, fragte sie und verschränkte lächelnd die Arme.
    Gorman erwiderte ihr Lächeln.
    »Ich finde dich … im Wald.«
     
    »Ainwa, hast du mir gerade zugehört?«
    Ich schüttelte den Kopf. Kauket zog ein missbilligendes Gesicht.
    »Konzentrier dich gefälligst. Manchmal habe ich das Gefühl, du bist überhaupt nicht hier.«
    Ich errötete. »Entschuldige, ich höre zu.« Wir waren inzwischen am Kraftplatz angelangt und Kauket gab mir die letzten Anweisungen, bevor wir auf das Zwiefeld wandelten. Er marschierte zu einem der Wechselsteine hinüber und schlug ihn drei Mal mit seinem Stab. Soweit ich das sagen konnte, passierte nichts. Genauso war es auch bei meinem Duell mit dem Streuner gewesen. Erst mein Dreischlag würde uns auf das Zwiefeld bringen. Ich ging zu dem zweiten Wechselstein auf der gegenüberliegenden Seite des Kraftplatzes und schlug dreimal darauf.
    Ein kühler Hauch streifte mich, ähnlich wie beim Wandeln in die Geisterwelt.
    »Sieh nach, ob es funktioniert hat«, schlug Kauket vor.
    Ich nickte und drehte mich um. Mit ausgestreckten Armen schritt ich auf den Rand des Kraftplatzes zu. Und tatsächlich – meine Handflächen stießen gegen eine unsichtbare Barriere.
    Als ich diese undurchdringliche Wand berührte, kamen mit einem Schlag die Erinnerungen an mein erstes Duell zurück. Die Verwirrung, die Angst, das Gefühl, in der Falle zu sitzen. Ich hoffte, wir würden bald wieder zurückwandeln.
    »Wenn sich Wanifen auf dem Zwiefeld gegenüberstehen«, sagte Kauket, »messen sie sich im Geisterringen. Sie rufen ihre Geister aufs Feld und lassen sie für sich kämpfen.«
    »Und die Wanifen sehen einfach dabei zu?«, fragte ich überrascht.
    »Nicht ganz«, entgegnete Kauket. »Dein Geist wird dich verteidigen, auch ohne dein Zutun, aber wenn du deinen Kampf gewinnen willst, musst du eure Verbindung nutzen und die Bewegungen deines Geists dirigieren. Es ist sehr schwierig, das zu beschreiben. Du musst es ausprobieren, um es wirklich zu verstehen.«
    »Nehmen wir an, ich wäre fähig, Ata zu rufen. Könnte ich dann Ata und den Percht gleichzeitig aufs Zwiefeld schicken?«
    Kaukets Augen weiteten sich, als ich die bloße Möglichkeit erwähnte, Ata zu rufen.
    »Nein, das wäre unmöglich«, meinte er schließlich. »Ein Wanife kann immer nur einen Geist beschwören. Wird ein Geist besiegt, der nicht sein Seelengeist ist, kann er noch einen zweiten Geist rufen, dann ist es vorbei, egal, wie viele er noch hat. Ein Wanife mit vielen Geistern ist nur insofern im Vorteil, dass er die Wahl hat, welchen Geist er in den Kampf schickt.«
    Ich knetete meine Unterlippe nachdenklich. Das alles hörte sich nicht so archaisch und brutal an, wie Kauket es geschildert hatte.
    »Die Geister kämpfen also gegeneinander. Wieso ist es dann für die Wanifen ein Kampf auf Leben und Tod?«
    Er runzelte besorgt die Stirn.
    »Du wirst es sehen. Ruf deinen Geist.«
    Schlagartig machte sich Nervosität in mir breit. »In Ordnung.« Ich hob meinen Stab. Meine Kehle fühlte sich ungewohnt trocken an. Ich räusperte mich.
    »Percht!«
    Es war gruselig, genauso wie damals schien die Realität an einer bestimmten Stelle zu verschwimmen, verdunkelte sich und dann tauchte die zum Sprung gespannte Gestalt des Perchts auf der Lichtung auf.
    Sie fixierte Kauket am gegenüberliegenden Rand des Zwiefelds und stieß ein feindseliges Knurren aus.
    »Gut«, murmelte Kauket unbeeindruckt. »Jetzt bin ich dran. Sphincos!«
    Er sprach den Namen genauso leise und beiläufig aus, als würde er das Wetter kommentieren.
    Wieder sah ich das seltsame Flimmern in der Luft, den Schatten und dann sprang

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