Die Wanifen
hinwegsetzen. Es war ein Fehler, aber ich erkannte es zu spät. Sphincos bäumte sich auf und traf den Percht mit einem Prankenhieb in den Rücken, der ihn mit einem überraschten Knurren zu Boden schleuderte. Ich war sicher, Kauket hatte nicht Sphincos’ ganze Kraft in den Hieb gelegt, aber der Schmerz, der plötzlich in meinem Rücken aufflammte, ließ mich mit einem erstickten Schrei nach vorn taumeln.
Kauket hob die Hand und Sphincos zog sich ein paar Schritte zurück.
»Nicht schlecht für den Anfang, Ainwa. Du musst noch viel schneller werden und du musst lernen, die Bewegungen deines Gegners vorauszuahnen.«
»Tut mir leid, Percht.« Ich stöhnte und wischte mir den Schweiß von der Stirn. »Aber wir bekommen das schon hin.«
»Blertsch«, meinte er versöhnlich.
»Lass uns weitermachen. Und denk daran, Ainwa, du kannst nie sicher sein, was für Fähigkeiten der Geist deines Gegners besitzt. Sei auf alles gefasst.«
Kauket und ich trainierten den ganzen Tag auf dem Zwiefeld. Als der Abend hereinbrach, war mein Körper mit blauen Flecken übersät und jede Bewegung meiner Gliedmaßen schmerzte, aber der Percht und ich hatten unglaubliche Fortschritte gemacht. Am Ende des Tages gelang es uns bereits, den meisten von Sphincos’ Attacken auszuweichen und bei unserem letzten Kampf schaffte es der Percht sogar, Sphincos mit seinen Steinbockhörnern in die Seite zu rammen. Es war kein Volltreffer – und Sphincos taumelte kaum, aber Kauket verzog kurz das Gesicht und nickte mir anerkennend zu.
Nach diesem Kampf meinte er, es wäre genug für einen Tag und mit einem gleichzeitig ausgeführten Dreischlag auf die Wechselsteine verließen wir das Zwiefeld.
Zu meiner Überraschung blieben die beiden Geister sichtbar, als wir in die Menschenwelt zurückwandelten.
»Innerhalb der Grenzen des Kraftplatzes kannst du deine Geister immer rufen, aber wenn sie die Grenze überschreiten, kehren sie zurück in die Geisterwelt.«
»Geh nach Hause, Percht«, sagte ich und lächelte ihm zu.
Mit einem demonstrativen Gähnen schlurfte der Percht über den Rand des Kraftplatzes hinaus und verschwand. Auch Sphincos verabschiedete sich mit einem eleganten Sprung in die Geisterwelt.
»Ich habe noch nie von einem Geist wie ihr gehört«, murmelte ich, während ich ihr fasziniert nachblickte.
Kauket lächelte ein wenig. »Sphincos gehört eigentlich nicht ins Seenland. Sie ist ein Geist aus der alten Heimat meines Volks. Sie hat mich hier gefunden.«
»Muss ein starkes Band sein.«
Er nickte und verließ den Kraftplatz mit langsamem Schritt.
»Sie ist sehr weise«, sagte er. »Und von ihr habe ich mein Talent im Wachsen.«
»Schade, dass es mit der Weisheit nicht geklappt hat«, meinte ich grinsend.
Kauket betrachtete mich mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich gab’s ja zu, der Scherz war nicht besonders einfallsreich gewesen.
Wir legten den Rest des Weges schweigend zurück. Mittlerweile hatte ich mich an die Stille zwischen uns gewöhnt und wusste, dass sie nicht auf seine schlechte Stimmung zurückzuführen war. Ich glaubte manchmal, er genoss die Stille einfach und diesmal genossen wir sie beide.
»Und?«, fragte Nephtys aufgeregt, als wir die Hütte betraten.
Kauket ließ sich zu einem Lächeln hinreißen. »Ainwa hat mich erwischt.«
Die Aussage war eine starke Übertreibung des einen Streifstoßes, den der Percht gelandet hatte. Trotzdem spürte ich, wie ich vor Stolz rot wurde. Und als Nephtys mich mit Fragen bestürmte, erzählte ich ihr am gemütlichen Herdfeuer von den Dingen, die Kauket mir heute beigebracht hatte. Kauket hörte schweigend zu und aß zwischendurch ein paar Bissen von den Reinanken, die Nephtys für uns gebraten hatte.
Ich war lange nicht mehr so glücklich gewesen, nicht seit Gorman fort war.
An jenem Abend vergaß ich beinahe, dass diese kleine Blase der Glückseligkeit, die das Wanifenhaus für mich geworden war, nur aus geborgter Zeit gebaut war – und dass der Tag, an dem sie zerplatzen würde, mit jedem Augenblick näher rückte.
Kapitel 12
Das Geschenk
M eine Begegnung mit den Quellwichten, die Identität meines Seelengeists und das Geisterringen hatten dazu geführt, dass ich das rothaarige Mädchen aus meinen Träumen beinahe vergessen hatte. In den vergangenen Nächten war sie mir nicht mehr im Traum erschienen.
Stattdessen hatte ich andere Dinge gesehen. Seltsame Bildfetzen … Einmal sah ich einen dünnen Mann auf einer nächtlichen Lichtung stehen. Seine
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